Von Dina Abol Hosn
„Mit unserem Gesang bieten wir Tod, Flucht und Leid die Stirn, denn wo immer syrische Frauen zusammenkommen, werden Hoffnung und Freude geboren.“ Mit diesen Worten beschreibt Raja Banout den Chor des von ihr gegründeten „Kulturforums Haneen“ (arabisch für „Sehnsucht“; Anm. d. Red.). Dessen Ursprung geht bereits auf das Jahr 2000 zurück, als Banout – damals noch in ihrer Heimat Syrien – verschiedene Frauengruppen gründete, um gemeinsam Yoga zu machen oder an kulturellen Events teilzunehmen.
Sie habe einen Beitrag zur Förderung ambitionierter Kunst leisten und einer Schieflage innerhalb der syrischen Musikszene entgegenwirken wollen, erzählt Banout: Während Stars vom Schlage eines Ali Al Deek mit ihren populären Schlagern Millionen scheffelten, wussten anspruchsvolle Künstler wie die Opernsängerin Lubana Al Quntar oft nicht, wovon sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollten. Deshalb förderte Banout gezielt Absolventen der syrischen Musikakademie und veranstaltete jeden Monat Konzerte. Weil sie nicht nur organisieren, sondern auch selbst Musik machen wollte, gründete sie schließlich den „Chor der Wiedergeburt“. Bald gehörten ihm 66 Frauen an, denen die regelmäßigen Treffen und Proben große Freude bereiteten.
2011 kehrte Raja Banout Syrien den Rücken. Erst ließ sie sich in Dubai nieder, dann in Gaziantep in der Türkei, wo sie ihre kulturellen Aktivitäten wiederaufnahm. „Wir haben regelmäßig einen Tabbouleh-Samstag veranstaltet“, berichtet Banout. „In diesem Rahmen haben wir verschiedene Workshops und Infoveranstaltungen organisiert und das ohne jede finanzielle Hilfe.“ Im Februar 2015 sei dann schließlich ein neuer Chor entstanden, den sie auf den Namen Haneen taufte: „Die Idee war, einen Chor für traditionelle Volksmusik aus ganz Syrien zu gründen, indem wir aus jedem einzelnen Gouvernement ein Lied auswählen und einstudieren. Darunter sind nicht nur arabische Lieder, sondern auch aramäische, kurdische oder turkmenische Stücke. Mit der Zeit ist die Zahl der Chormitglieder auf 80 angewachsen.“ Ihre Sängerinnen bezeichnet Banout liebevoll als Haneenis.
Chormusik zwischen Gaziantep nach Sinzig
Doch auch in der Türkei musste Raja Banout irgendwann ihre Zelte abbrechen. Über die Schweiz kam sie nach Deutschland, wo sie einige ihre ehemaligen Chormitglieder wiedertraf: „Zur selben Zeit habe ich Kontakt zu dem Oud-Spieler Wassim Mukdad aufgenommen, den ich schon aus Gaziantep kannte.“ Mukdad war sofort bereit, den Chor auf seiner Laute zu begleiten. „Wir haben sofort die alten Haneenis zusammengetrommelt“, erzählt Banout. „Unseren ersten Auftritt hatten wir im Rahmen des Kunstfestivals Art Ahr 2016 in Sinzig.“
Ansässig wurde der Chor schließlich in Berlin, wo er dank der Flüchtlingsinitiative Campus Cosmopolis einen Proberaum fand. Neben der Musik ist Raja Banout besonders der soziale Aspekt wichtig: „Haneen hat den Frauen die Gelegenheit gegeben, sich kennenzulernen, Freundschaften zu schließen und gemeinsam etwas zu unternehmen. Sie alle haben schlimme Zeiten hinter sich. Deswegen sind unsere Treffen so wichtig, weil sie ein Gefühl der Zusammengehörigkeit vermitteln und wir innerlich zur Ruhe kommen können.“
Singen, um die Angst zu vergessen
Der wohl schwierigste Moment für die Berliner Chormitglieder hatte aber nichts mit Auftritten vor großem Publikum zu tun: Einige der noch in der Türkei lebenden Haneenis hatten sich entschlossen, in einem Schlauchboot die Überfahrt nach Europa zu wagen. „In diesen schwierigen Stunden haben wir uns alle getroffen und gemeinsam gewartet. Wir haben Kerzen angezündet und sind die ganze Nacht über wach geblieben, bis endlich die gute Nachricht kam, dass alle wohlbehalten angekommen sind“, erinnert sich Banout. „Hinterher haben sie uns erzählt, dass sie an Bord des Schlauchbootes gesungen haben, um ihre Angst zu vergessen.“
Mittlerweile tritt Haneen regelmäßig in Berlin auf, so zum Beispiel auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, auf den im Dezember 2016 ein Terroranschlag verübt worden war. Die Sängerinnen von Haneen trugen dort traditionelle syrische Lieder vor, legten am Mahnmal für die Opfer des Anschlags Blumen nieder und entzündeten Kerzen: „Wir haben Tod, Terror und Krieg in Syrien getrotzt und Solidarität gezeigt“, meint Banout. „Alle müssen wir irgendwann einmal sterben, aber bis dahin singen wir aus ganzer Seele gegen Tod, Krieg und Leid an.“
Raja Banout hat große Pläne
Momentan arbeiten Raja Banout und ihre Haneenis an der Gründung weiterer Chöre in Deutschland, aber auch in Holland und in der Schweiz. Ein paar Gruppen existierten sogar schon und hätten ein recht gutes Niveau: „Bald können wir den Grundgedanken des Forums wiederaufnehmen: das kulturelle Erbe unseres Heimatlandes zu bewahren und die politische und intellektuelle Weiterbildung zu fördern.“ Besonders letzteres ist ihnen wichtig, schließlich wollen Banout und ihre Sängerinnen irgendwann einmal nach Syrien zurückkehren und dort mithelfen, ein demokratisches Staatssystem aufzubauen: „Wir werden weitersingen, bis wir eines Tages nach Syrien zurückkehren. Wir werden Gruppen in allen Ländern des Exils gründen!“, meint Banout. „Wer weiß, vielleicht kommen wir eines schönen Tages in der Umayyaden-Moschee in Damaskus zusammen und geben dort ein gemeinsames Konzert. Oder vielleicht bei der UNO…“
Aus dem Arabischen übersetzt von Carsten Brückner. Dieser Artikel wird in Kooperation mit WDRforyou veröffentlicht.