Von Lanna Idriss
Es ist erschreckend. Wenn Sie eine Tochter zwischen 14 und 25 Jahren haben, hat diese direkte oder indirekte Erfahrungen mit Digitaler Gewalt gemacht. Wenn nicht sie selbst „Shaming“ erlebt hat, dann war es jemand aus ihrem weiblichen Freundeskreis. Es gibt in Deutschland rechnerisch keine junge Frau, die davon ausgenommen werden kann. Denn geht man nach aktuellen Umfrageergebnissen, so sind mehr als 50% persönlich betroffen.
Eine umfassende Studie fehlt hierzulande. Die Bundesregierung scheint die bisher getroffenen Präventiv-Maßnahmen für ausreichend zu halten und die Sachlage für zu komplex, um hier mit gesonderten Straftatbeständen zu reagieren. So ihr Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken aus dem November 2018.
Wenn Komplexität die Ausflucht für Untätigkeit ist, ahnt man, das es dringend an der Zeit ist sich mit dem Thema zu befassen. In Anbetracht potentieller Einschränkungen der Grundrechte von Mädchen und jungen Frauen in diesem Land, ist ein weiterer Aufschub, will man als Rechtstaat seine Glaubwürdigkeit nicht verlieren, nicht zu rechtfertigen. Inzwischen betrifft Cybermobbing auch immer mehr Ältere. Ein Anstieg allein von 2014 auf 2016 um 9,3 %, laut einer Studie des Bündnis gegen Cybermobbing, belegt dies.
Cybermobbing, Cyberstalking, Cybergewalt, Internethetze, digitale sexualisierte Gewalt, Shaming. Es gibt viele Namen für die Gewalt, die im Netz verübt wird. Wenn es um digitale sexualisierte Gewalt gegen Frauen geht, sind der sogenannte „Revenge Porn“ und das „Slut Shaming“ die „beliebtesten“ Formen. Ob mit Video und Bild oder mit Worten, sie findet täglich in sozialen Medien statt und hat junge Frauen bis in den Selbstmord geführt.
Es sind neue Begriffe für ein ganz altes Prinzip. Das Sprichwort „Jemanden an den Pranger stellen“ greift das Vorgängermodell aus dem Mittelalter auf. Bei Frauen, die des Ehebruchs verdächtigt wurden, war eine gängige Strafe sie öffentlich zur Schau zu stellen. Die Frau, die Sünderin, wurde in Fällen von sexualisierter Gewalt als Schlampe, die es nicht anders verdient hat vor der Dorfgemeinschaft gedemütigt und ihr damit ein normales soziales Weiterleben unmöglich gemacht. Nichts anderes findet heute auf Facebook und Co statt. Mit dem Unterschied, dass das Internet ein globales Dorf ist und 24 Stunden geöffnet hat. Ein Post mit erniedrigender Darstellung der Frau, kann Reaktion darauf sein, das sie den Mann nicht erhört hat, ihn verlassen hat, seinen Hass auf sich gezogen hat. Einige geben auch an „einfach nur so aus Spaß“ gehandelt zu haben. Sehen kann das dann jeder, der gerade wach und online ist.
Für Experten gehören Mobbing und Cybermobbing längst zusammen. Auch sexualisierte Gewalt und digitale sexualisierte Gewalt sind meist die Verstärkung des einen durch das andere, so eine Umfrage des bff. Das Analoge ergänzt das Digitale oder umgekehrt. Bei den Opfern führt digitale Gewalt meist zu einer Vielzahl schwerer Folgeerkrankungen: Sie ziehen sich zurück, vermuten überall Gefahr und leiden an Panikattacken und Depressionen. Das heimtückische der digitalen Gewalt ist, das sie jederzeit wieder auftreten kann und das lässt die Opfer selbst dann nicht zur Ruhe kommen, wenn das Shaming aufgehört hat.
Egal über welches Medium, das Shaming dient dazu „Schande“ über das Opfer zu bringen, primär mit der Absicht, um es zum Schweigen zu bringen. Gemäß einer Untersuchung von UN Women, haben über die Hälfte (6 von 10) der Frauen, die Erfahrung mit sexualisierter Gewalt in Ägypten gemacht haben, geschwiegen, um sich und ihre Familien zu schützen. In Deutschland liegen solche Zahlen nicht vor. Aber kann die Bilanz wesentlich besser sein, wenn hierzulande lediglich 7% der gemeldeten Fälle von physischer sexualisierter Gewalt zu einem Urteil führen?
Es ist erstaunlich, für viele Dinge im Leben berufen wir uns auf kulturelle Unterschiede. Bei DGGF ist das ein aussichtloses Unterfangen. Denn es tritt flächendeckend in allen Kulturen dieser Erde auf. Und die Tatabfolgen sind beängstigend identisch, insbesondere in ihrer herabwürdigende Qualität. Keiner kann sich hier kulturell herausreden. Es findet überall und zu allen Zeiten statt und ist daher als universelles menschliches Verhalten zu bezeichnen. Es ist Tagesgeschäft.
Die beeindruckende libanesische Kampagne #ShameOnWho adressiert die soziale Stigmatisierung und die gesellschaftlich tiefe Verankerung der Täter-Opfer-Umkehr. In öffentlichen Performances in Beirut, stellt die Kampagne fest, das Opfern (Schauspielerin ruft auf Straße um Hilfe nach offensichtlich erfahrener sexualisierter Gewalt), keine Hilfe zu Teil wurde und die Performerin umgehend von Passanten zum Schweigen aufgefordert wurde, bzw. ihr die Schuld aufgrund ihrer Kleidung oder obgleich der Tatsache, dass sie sich auf der Straße befand, angelastet wurde. Wie würden die Menschen auf deutschen Straßen wohl auf einen solches Szenario reagieren?
Eine Herausforderung hierzulande liegt sicherlich an der Unsicherheit, welche Gesetze überhaupt relevant sind. Gemäß einer erfahrenen Kommissarin, die sich für eine landesweite Erfassung Digitaler Gewalt engagiert, ist es jedoch nicht nur die Gesetzeslage, die problematisch ist, sondern die ungenügende Anwendung dieser, also die Praxis von Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Straftatbestände: Üble Nachrede, Verleumdung, Nötigung, sexuelle Beleidigung reichen ihrer Meinung nach grundsätzlich aus. Und dennoch gehen die Wenigsten zur Polizei.
Die Täter müssen aber erfahren, dass sie für ihr Verhalten sanktioniert werden können und deswegen Bedarf es einer weitreichenden Aufklärungskampagne in Deutschland. Solange Strafanzeigen nicht gemacht werden, weil Opfer ihre Rechtsmittel nicht einschätzen können, Polizisten nicht wissen, wie sie mit Opfern Digitaler Gewalt umgehen sollen und Gerichte zu wenige Fälle verhandeln, kann dann auch auf eine ergänzende Gesetzgebung nicht verzichtet werden.
Am 1.1.2016 fand der Tatbestand des Cybermobbings Eingang ins Strafgesetzbuch Österreichs. Unser Nachbarland war seiner Zeit gut 2 Jahre voraus. Denn im Juli 2018 forderten die UNHRC im Rahmen von Artikel 19 unter Führung Kanadas die 72 Mitgliedsländer auf, digitale Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen und die Persönlichkeitsrechte von Frauen aktiv zu schützen. Dem vorausgegangen war der Bericht der UN Sonderbotschafterin Dubravka Simonovic, der die Länder dazu anhielt in ihren Gesetzgebungen Strafe gegen digitale Gewalt gegen Frauen zu verankern.
Passiert dies nicht, ist das Ergebnis in Deutschland, sowie in vielen anderen Teilen der Welt, dass Frauen den öffentlichen digitalen Raum meiden. Damit wird ihnen das Recht auf Teilnahme genommen. D.h. wir brauchen Diskurs. Denn es ist mit Nichten so, das wir einen Dauerbrenner schon wieder durchkauen, um die letzten Hinterwäldler mit dem gesellschaftlichen Konsens vertraut zu machen. Nein es ist so, dass das Problem mit Hilfe der Technik stetig wächst, „Ich kann es nicht glauben, das ich mich im 21.Jahrhundert damit beschäftigen muss, stand auf einigen Demonstrationsschildern des Womens March im Januar 2017. Ja, es ist schwer zu fassen, das der nachhaltige gesellschaftliche Aufschrei bisher ausbleibt.
Wir sollten lernen offen über Gewalt und sexualisierte Gewalt zu sprechen, um somit ihre Stigmatisierung und Tabuisierung anzugreifen. Nach wie vor ist beim Thema ganz schnell der Satz zu hören: „Lass das mal endlich ruhen und schau nach vorne“ oder „Ich wünsche Dir, das Du loslassen kannst“. In Deutschland will man offensichtlich nicht über das Thema sprechen, nur so ist zu erklären, das es nun eine sehr kleine #metoo Bewegung gegeben hat. Nur wenn ein Prominenter oder ein Flüchtling beteiligt sein könnten, gibt es einen kurzen medialen Aufschrei. Das ist heuchlerisch. Substantiell wird an dem Thema öffentlich nicht gearbeitet. Die Folge: Gewalt mit digitalen Mitteln breitet sich fast ungehindert aus und normalisiert sich fortlaufend.
Wer kann helfen in Deutschland?
www.buednis-gegen-cybermobbing.de
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