Ein Auto rast über einen Platz. Staub wirbelt auf. Reifen quietschen. Im Wagen fehlen die Verkleidung, die Sitzpolster, fast alles: Der Wagen wurde zu einem Rennauto umgebaut. Marah sitzt am Steuer. Mit Leichtigkeit gleiten ihre Hände über das Lenkrad. Mal lenkt sie nach links, dann steuert sie schnell wieder dagegen.
„Ich habe Rennautos geliebt, seit ich ein kleines Mädchen war. Ich liebte die Geräusche der Autos“, erzählt sie. Ihre Mutter, eine Fahrschullehrerin, sei zu ängstlich gewesen, um sie fahren zu lassen, da Marah noch zu klein gewesen sei, um etwas zu sehen. Kurzerhand sei sie trotzdem losgefahren. „Als sie nebenan war, habe ich alle Nachbarskinder um mich herum versammelt. Sie schoben mich an, bis wir an meinem Haus vorbei waren, damit meine Mutter den Motor nicht hörte. Ich konnte nicht in den zweiten Gang schalten, also fuhr ich durch die ganze Nachbarschaft im ersten Gang.“
Heute ist Marah Profi. Genauso wie die Rennfahrerinnen Noor, Maysoon, Mona und Betty. Ihre Rennstrecken improvisieren sie meist auf Park- oder Marktplätzen, Trainingsmöglichkeiten gibt es kaum. Dennoch nehmen sie gemeinsam als „Speed Sisters“ an Autorennen in der Westbank in Palästina teil. Damit sind sie das erste rein weibliche Autorennteam der arabischen Welt.
In ihrem Dokumentarfilm Speed Sisters (2015) zeigt Regisseurin Amber Fares wie die fünf Frauen nicht nur um die besten Startplätze und Ersatzteile kämpfen, sondern auch gegen konservative Vorurteile in einer patriarchalen Gesellschaft. Gleichzeitig zeigt sich die eingeschränkte Bewegungsfreiheit im Westjordanland deutlich. Speed Sisters reiht sich damit in den Schwerpunkt zu palästinensischen Filmen beim Arabischen Filmfestival ALFILM in Berlin ein. Neben Speed Sisters gehören zwei weitere palästinensische Produktionen sowie ein Film, der im Gaza-Streifen spielt, dazu. Alle haben einen sehr unterschiedlichen Stil.
Adrenalinschub und politische Komplikationen
Wie bei einer Übertragung der Formel 1 werden auch in Speed Sisters Informationen zu den Rennen – wie Zeitanzeigen, Pläne der Rennstrecken oder Siegertabellen – eingeblendet. Bilder aus dem Cockpit und von der Strecke insgesamt versetzen den Zuschauer zusätzlich mitten ins Rennen. Das wirkt teilweise wie aus einem Actionfilm. Auf den Adrenalinschub bei den Rennen und Trainingseinheiten folgt der Alltag der Protagonistinnen, der von kulturellen und politischen Komplikationen geprägt ist. Obwohl der formale und inhaltliche Aufbau von Speed Sisters damit recht unkonventionell scheint, passt er doch zum Film und seinen Protagonistinnen.
So müssen die Speed Sisters sich trotz ihres Erfolges in Palästina in einem von Männern dominierten Sport noch immer beweisen. Der Vorsitzende der Palestinian Motorsport Federation akzeptiert keinen weiblichen Einspruch, auch wenn er gerechtfertigt ist. Marahs Großvater sieht die Autorennambitionen seiner Enkelin kritisch. Doch im im Gegensatz dazu ist Marahs Vater ihr größter Fan. Mit dem Ersparten kauft die Familie Marah ein neuen Wagen, anstatt den Traum vom eigenen Haus zu verwirklichen. Sie zeigen damit einmal mehr, wie unterschiedlich Gleichberechtigung in der palästinensischen Gesellschaft gedacht wird.
Dass im gesamten Film politische Kommentare nur indirekt auftauchen und nicht offen ausgesprochen werden, macht den Film nicht harmloser. Vielmehr wirkt es umso stärker, wenn der Zuschauer sieht, wie alltäglich der Umgang mit Grenzen, Checkpoints oder Begegnungen mit Soldaten für die Protagonistinnen des Films sind. Vor allem aber schockiert es, wenn Betty auf dem Weg zum Training angeschossen wird. Speed Sisters ist ein rebellischer und gleichzeitig optimistischer Film. Trotz aller Hindernisse kämpfen die Protagonistinnen für ihren Traum. Und das ist ansteckend.