Vor dem Beginn des Arabischen Frühlings 2011 waren soziale Medien in Syrien kaum verbreitet. Seither ist es fast unvermeidlich geworden, auf Facebook zu sein, um auf dem Laufenden zu bleiben und sich mit anderen auszutauschen. Zweifelsohne haben Facebook und Co. neue Horizonte der Meinungsäußerung eröffnet, indem sie virtuelle Räume schufen. Auf diese Weise ist im Internet ein „alternatives syrisches Territorium“ herangewachsen, dessen Bedeutung angesichts des Fehlens eines eigentlichen, intakten Staatsterritoriums immer größer wird. Für Frauen bedeutet dieser virtuelle Raum eine so noch nie dagewesene Möglichkeit der gesellschaftlichen Partizipation. Zugleich birgt er für sie auch das Risiko, Opfer „digitaler Gewalt“ zu werden.
Einer Studie der Vereinten Nationen zufolge sollen bereits 65 % aller Frauen negative Erfahrungen im virtuellen Raum gemacht haben. Die wahre Ziffer kann man getrost höher ansetzen. Insbesondere Aktivistinnen, die gezielt in der Öffentlichkeit agieren, sind oftmals Angriffen und Schmähungen ausgesetzt. Doch sollte man wirklich nur die negativen Seiten sehen? Hat der virtuelle Raum nicht auch den Kontakt mit einer Vielzahl von Stimmen und Themen ermöglicht, von deren Existenz vorher niemand auch nur eine Ahnung hatte?
Rasha Abbas: Früher war die Bereitschaft, sich zu äußern, größer
Youmna Al-Dimashqi: Soziale Medien helfen Frauen, selbstbewusster zu werden
Demgegenüber betont die syrische Journalistin Youmna Al-Dimashqi die positiven Auswirkungen, die die sozialen Medien auf diejenigen Frauen gehabt hätten, die vorher aufgrund gesellschaftlicher Konventionen nicht mit anderen in Kontakt treten konnten. Die sozialen Medien trügen dazu bei, „die Persönlichkeit von Frauen in Erscheinung treten zu lassen. Ich kenne viele Frauen, die durch Facebook stärker und selbstbewusster geworden sind und den Mut gefunden haben, auch mit Männern in Kontakt zu treten, sei es auch nur virtuell.“ Auch sie selbst habe davon profitiert: „Facebook hat mir die Chance gegeben, meine persönlichen Ansichten mitzuteilen. Ich habe heute keine Angst mehr, meine Meinung zu sagen.“ Leider gebe es aber auch Seiten, die „ein falsches Bild von Frauen zeichnen und sie nicht selbst zu Wort kommen lassen“.
Milia Eidmouni: Frauen werden mit Hass, Unterdrückung und Zensur konfrontiert
Milia Eidmouni, eines der Gründungsmitglieder des „Syrian Female Journalists Network“, meint: „Frauen sind in den sozialen Netzwerken mit vielen Herausforderungen konfrontiert, z. B. mit Hate Speech, Unterdrückung, Selbstzensur, Zensur durch die Öffentlichkeit oder die Familie und all dem, was sich als ‚Maßnahmen der Staatsgewalt’ beschreiben lässt. Wenn Aktivistinnen ins Visier der Staatssicherheitsorgane geraten, wird auf ihre privaten Accounts zugegriffen. Das erhöht den Druck auf die betroffenen Frauen, aus Rücksicht auf ihre Familien aufzuhören, ihre Meinung zu äußern. Eine andere Form ist die ‚digitale Erpressung’: Jeder kann ein x-beliebiges Gerücht über eine Frau in die Welt setzen, das sich im Internet in Windeseile verbreitet.“ Eidmouni nennt als Beispiel die öffentliche Verunglimpfung der syrischen Oppositionspolitikerin Suheir Atassi oder die Beschimpfung des UN-Beratungsgremiums syrischer Frauen. Eidmouni verkennt aber auch nicht die positiven Aspekte der sozialen Medien: „Organisationen und Initiativen können heute eine viel größere Zahl von Menschen erreichen als früher. Auf diese Weise ist es gelungen, das Bewusstsein für Frauenrechte zu erhöhen.“
Maya Al Rahbi: Es ist wie ein Gang durchs Minenfeld
Maya Al Rahbi kämpft seit langen Jahren für Frauenrechte und hat etliche Bücher zu diesem Thema verfasst. Ihre Meinung über die sozialen Medien ist gespalten: „Im öffentlichen Bereich haben sie viele positive Auswirkungen gehabt. Vor einigen Jahren zum Beispiel gab es nur wenige, die schon einmal etwas vom Internationalen Frauentag gehört hatten, während das heute dank Facebook völlig anders ist.“ Was allerdings die private Sphäre anbelangt, so warnt Al Rahbi: „Facebook hat sich mittlerweile in ein Medium verwandelt, das unsere persönlichsten Gedanken unters Volk bringt. Wenn eine Frau sich dazu entschlossen hat, ihr Profil wildfremden Menschen zugänglich zu machen, muss sie auf der Hut sein. Am besten postet sie nur, was sie denkt – nicht, was sie fühlt.“ Wer sich anschicke, seine privaten Dinge zu öffentlichen Angelegenheiten zu machen, laufe Gefahr, „öfter als früher zum Opfer zu werden“. Für Al Rahbi ist der Kampf für Frauenrechte wie ein „Gang durchs Minenfeld“, da die gesellschaftliche Akzeptanz weiterhin fehle: „Deshalb müssen wir wachsam sein und den passenden Moment abwarten, um unser Anliegen zu verfechten.“
Dieser Artikel wird in Kooperation mit WDRforyou übersetzt und veröffentlicht.