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Haben Sie sich integriert?

Syrian artist Maisam Mallischo “Friendly Talk”

Sie müssen sich integrieren! So habe ich es in den Medien, von Einwohnern dieses Landes, von Freunden und Fremden gehört. Ich habe mir Gedanken gemacht, den Kopf zermartert: Wie soll ich mich bloß integrieren? Mit wem muss ich mich integrieren? Was bedeutet eigentlich dieses Wort „Integration“, das ich immer wieder zu hören bekomme, ohne wirklich zu wissen, was es bedeutet! Ich beschloss also, mich zu integrieren. Aber erstmal musste ich unbedingt noch die Fragen, die mich beschäftigten, beantwortet haben. Ich begab mich auf die Suche nach der Bedeutung des Begriffs „Integration“ und fand heraus, dass Integration in der Soziologie einer von vier Begriffen ist, welche die mögliche Art und Weise der Interaktion des Menschen mit der für ihn neuen Gesellschaft beschreiben.

Die Soziologen sagen, dass jeder, der sich aufmacht, in einer für ihn neuen Gesellschaft zu leben, vier mögliche Reaktionen zeigen kann: Er verzichtet auf seine kulturellen Werte und alle mit seiner früheren Umgebung verbundenen Sitten und Ideen und nimmt dafür die kulturellen Werte der anderen Gemeinschaft an, geht also in der für ihn neuen Gesellschaft auf. Das nennt man „Assimilation“. Er kann aber auch die für ihn neuen Werte, Ideen und Sitten und die Berührung mit ihnen ablehnen und an seinen Werten und seiner kulturellen Identität sogar noch stärker festhalten, als er dies früher getan hat. Damit lehnt er die für ihn neue Gesellschaft ab, indem er umso stärker an der eigenen Community, in der er aufgewachsen ist, festhält und zu ihr zurückkehrt. Das bezeichnet man als „Separation“.

Die dritte Möglichkeit besteht darin, dass die jeweilige Person nicht an ihren Werten, Ideen und Sitten festhält, andererseits aber auch die für sie neuen Werte, Ideen und Sitten der anderen Gesellschaft nicht akzeptiert. Damit schottet sie sich ab und schließt sich weder der einen noch der anderen Gesellschaft an. Das nennt man „Marginalisierung“.

Damit kommen wir schließlich zu unserem Thema und zur vierten Möglichkeit, nämlich dass man seine aus Sprache, Werten und Sitten bestehende kulturelle Identität bewahrt, dies den jeweiligen Menschen aber nicht daran hindert, die für ihn neue Gesellschaft zu akzeptieren, mit ihr zu leben und deren zu ihm passenden Werte und Ideen, die er in dieser Gesellschaft kennenlernt, zu übernehmen. In diesem Fall lebt der Mensch in Harmonie mit seiner neuen Gesellschaft, indem er sich seine kulturelle Identität erhält, den Anderen akzeptiert und problemfrei mit ihm kommuniziert. Das ist „Integration“. Integration bedeutet also nicht, dass eine Seite zugunsten der anderen ausgeschlossen wird oder verschwindet. Vielmehr treten beide miteinander in Wechselwirkung und kulturelle Koexistenz, wobei sich jede Seite ihrer eigenen kulturellen Identität bewusst bleibt und gleichzeitig für die andere Seite offen und in der Lage ist, mit ihr zu kommunizieren,

Jetzt wusste ich, was es bedeutet, mich zu integrieren! Das aber war nicht so leicht wie gedacht. Offenbar ist der Begriff der Integration doch komplizierter und tiefgreifender, als dies von den Medien dargestellt und von den Menschen verstanden wird. Jedenfalls hatte ich seine wahre Bedeutung begriffen und somit auf meine erste Frage eine Antwort gefunden. Die zweite Frage erscheint nicht weniger kompliziert: Mit wem integriere ich mich?

Seit nunmehr fast zwei Jahren bin ich in Deutschland. In dieser Zeit war ich in vielen Städten und Bundesländern. Ich arbeitete im Krankenhaus, in Geschäften und an der Universität und war ehrenamtlich für caritative Einrichtungen tätig. Dabei bin ich vielen Menschen begegnet, kann mir aber nicht vorstellen, diese „deutschen“ Menschen allesamt in einen Topf zu werfen, indem ich ihnen allen dieselben Eigenschaften zuschreibe und ihnen einen bestimmten Stempel aufdrücke, um mich dann mit ihnen zu integrieren! Von Ost nach West, von Nord nach Süd traf ich, wie in jeder Gesellschaft, ganz unterschiedliche Menschen und kam zu dem Schluss, dass das Wort „Deutsche“ sehr umfassend ist und mir keine Idee von der Gesellschaft, in der ich jetzt lebe, vermittelt. Also beschloss ich, mich in die Gesellschaftsschicht zu integrieren, die zu mir passt, mir diejenigen neuen Ideen und Werte auszusuchen, mit denen ich mich identifiziere, und von den Erfahrungen dieser Gesellschaft zu lernen. Denn sie hat auf vielen Gebieten sowohl geistig als auch gesellschaftlich viel erreicht. Ich sehe keinen Widerspruch zwischen Offenheit und Aneignung neuer Erfahrungen und der Bewahrung meiner kulturellen Identität, der Liebe zu meiner Sprache und ihrem Gebrauch und den von mir mitgebrachten guten Werten.

Integration hat nichts mit Essen, Trinken, Kleidung oder Freunden zu tun. Sie ist ein Prozess, an dem sich, im Gegensatz zur Darstellung, dass eine Seite in der anderen aufgeht, beide Seiten beteiligen müssen. Sie ist – im, in der Realität schwer zu erreichenden, Idealfall – die einzige Option für das Zusammenleben zwischen den verschiedenen Teilen der für uns neuen, von kultureller Vielfalt geprägten Gesellschaft. In einer solchen Form des Zusammenlebens befreien wir uns vom Denken in den Kategorien der Sieger und Besiegten, der Überlegenen und Unterlegenen, der Besseren und Schlechteren. Bei der Integration gibt es keine Verlierer, weil alle gewinnen.

Die Übersetzung ist aus einer Kooperation zwischen WDRforyou und Abwab entstanden.

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