Von Lilian Pithan
Mit was hat es nur alles angefangen? Diese Frage, auf die es eine, keine oder auch hunderte Antworten gibt, treibt Madjid Amani seit Jahren um. Vom Fenster seines Zimmers in einer Aachener Nervenheilanstalt aus beobachtet er in Abbas Maroufis Roman Fereydun hatte drei Söhne die anderen Insassen, schmirgelt in der Werkstatt an einem hölzernen Kerzenständer herum, verreibt Spucke auf seinem Schuh und empfängt seine wenigen verbliebenen Freunde, mit denen er hitzige politische Debatten führt. Madjid, seit vier Jahren in diesem „historischen Winkel“ gefangen, ist nicht irgendwer: In den 1970er-Jahren unterstützt er die iranische Revolution, ist überzeugter Kommunist und für seine flammenden Reden bekannt. Sein Vater Fereydun, der ebenso stolz auf sein B. F. Goodrich-Reifenimperium wie auf seine Familie ist, scheitert daran, seine drei Söhne von ihren politischen Aktivitäten abzuhalten: Assad wird zu einem Gefolgsmann Ajatollah Chomeinis und kämpft für die islamische Republik. Said schließt sich den Volksmudschaheddin an und wird ins irakische Exil gezwungen. Madjid betreibt mit seinen Genossen den kommunistischen Umsturz und muss bald erkennen, dass die Revolution von den Mullahs gekidnappt wurde. Nicht „Kinder der Revolution“ seien sie gewesen, sondern „heißes Brot, das sich in bequeme Bissen für die Regierungsführer verwandelte. Sie brachen uns, verschlangen uns und warfen uns fort.“
Während der alte Staat in Feuer aufgeht, zitiert Fereydun Amani immer wieder Verse aus dem Schanahme, dem monumentalen Versepos von Ferdousi, und rückt das Schicksal seiner Familie damit in die Nähe eines literarischen Gründungsmythos des Irans: „Fereydun hatte drei Söhne…“ Doch eigentlich passt das nicht, denn in Madjids Familie gibt es noch einen vierten Bruder, Iradsch, Revolutionär der ersten Stunde, der im Übergang von Monarchie zu Theokratie hingerichtet wird. Dass sich weder Fereydun noch Assad für dessen Begnadigung einsetzen, ist das große Trauma, das die Amanis brutal und endgültig auseinandertreibt: Assad wird hochrangiger Agent des neuen Geheimdienstes, Said stirbt bei der Militäroperation „Ewiger Glanz“ und Madjid flieht nach Europa.
Seine Erinnerungen an diese Zeit mischen sich mit Szenen seines Lebens als politischer Flüchtling in Deutschland, mit Reiseimpressionen und Traumsequenzen, in denen er von ehemaligen Geliebten, seinen Wärtern in der Heilanstalt und iranischen Geheimdienstagenten drangsaliert wird. Die ständigen Perspektivwechsel, mit denen Maroufi die Zerrissenheit seines Protagonisten einfängt und die sich auch in den Überschriften der vier Romankapitel niederschlagen, lassen nicht nur die psychische Krankheit Madjids erahnen, sondern spiegeln ebenso verfeindete Bewegungen innerhalb der iranischen Revolution wider. Der Autor, der in den 1990er-Jahren selbst aus dem Iran flüchten musste und seither in Berlin lebt, steigt in Fereydun hatte drei Söhne tief hinab in die psychischen und emotionalen Untiefen des Exils. Um eine derart poetische Vielschichtigkeit des Erzählens zu entwickeln, braucht es wohl einige Jahre Abstand von den historischen Ereignissen. Auf Persisch ist Fereydun hatte drei Söhne aber schon 2004 erschienen und jetzt, dank Ilja Trojanow und der wunderbaren Übersetzerin Susanne Baghestani, auch auf Deutsch in der Edition Büchergilde.
Edition Büchergilde, 298 Seiten, 22,95 Euro