Von Fady Jomar
Zu guter Letzt, nach langem Warten, wurde ich als Mensch anerkannt. Die deutsche Regierung beschloss, mir eine Urkunde zu verleihen, die mir gestattet, mich für die Dauer eines ganzen Jahres auf deutschem Boden aufzuhalten. Ich habe sogar das Recht, mir eine Wohnung auszusuchen, in der ich leben kann.
Ich liebe es zu planen und versinke häufig in Tagträumen. Das Jahr bis zur Entscheidung, die mich zum Menschen machte, spazierte ich durch die Straßen des Ortes, von dem die deutsche Regierung entschieden hatte, er sei für mich als Lebensmittelpunkt angemessen. Ich lief durch die Straßen der Dörfer und Städte in der Nähe, um die schönen Gegenden kennenzulernen, die vielleicht als Wohnort für mich in Frage kämen. Ich schaute in die Schaufenster der Möbelgeschäfte und begutachtete Haushaltsgeräte. Dabei hatte ich bereits mehrmals in Gedanken den Betrag ausgegeben, den ich als Starthilfe bekommen würde. Ich suchte nach den besten Angeboten, die zu meiner jeweiligen Laune passten. Einmal stellte ich mir das Dekor meiner Wohnung klassisch vor, mit hölzernen Leuchten und antiken Sesseln und Keramiktellern. Ein andermal wählte ich einen modernen Stil mit einer weichen Ledergarnitur und postmodernen Skulpturen. Warum auch nicht? Träume kosten nichts. Warum sollte ich nicht verschwenderisch leben wie ein britischer Prinz?
Ich habe die Bestimmungen viele Male gelesen, denen die Wohnung entsprechen muss, die mir von der deutschen Regierung zugestanden wird. Aber nun, da ich die Aufenthaltsgenehmigung habe, fühlt es sich anders an, sie aufs Neue zu lesen. Ich rief ein Online-Übersetzungsprogramm auf, suchte Mietangebote und schwelgte weiter in Tagträumen. Zunächst suchte ich nach Wohnungen mit der vom Jobcenter festgelegten Wohnfläche, ohne Preislimit, denn „Geld ist der Dreck des Lebens und wenn ich die passende Wohnung finde, werden wir uns schon einig werden“.
Zahlreiche Angebote, schöne Bilder von faszinierenden Aussichten, Flüsse und Wälder, nur wenige Schritte vom Bahnhof. Warum meckern Geflüchtete denn nur die ganze Zeit? Ich suchte weiter und genoss die Details, während ich mir eine edle Küche, meinen Schreibtisch und das Wohnzimmer vorstellte, in dem ich einen literarischen Salon begründen wollte. Träume, Träume, Träume…
Wenn man einmal ausgeträumt hat, muss man leider in die Realität zurückkommen. Ich suchte aufs Neue, gab diesmal die Wohnfläche und den Preis ein und war schockiert. Meine Träume schrumpften in sich zusammen wie Frau Pfeffertopf in der Kinderserie, von den zahlreichen Wohnungsangeboten blieben nur drei übrig. Gut, kein Grund zu verzweifeln! Ich brauchte ja schließlich nur eine Wohnung. Ich beruhigte meine Träume, indem ich mir einredete, dass zu viele Angebote mich nur verwirrten, was nicht gut für mich wäre. Unabhängig davon, wie die Wohnungen aussähen, würde ich in einer davon wohnen. Dann hätte ich in jedem Fall ein Dach über dem Kopf.
Ich bewaffnete mich mit meinen durchschnittlichen Englischkenntnissen und meinem unendlichen Optimismus und begann mit meinen Telefonaten. Der erste Vermieter wollte nicht weiter mit mir reden, als er erfuhr, dass ich Flüchtling bin und dass die Miete vom Jobcenter bezahlt wird. Das kann man als „Nein“ verstehen. Er sagte, er sei beschäftigt, und legte auf. Der zweite Vermieter war freundlich und hilfsbereit und stellte mir einen Besichtigungstermin in zwei Wochen in Aussicht. Falls wir uns einigten, wäre es wegen Renovierungsarbeiten möglich, drei Monate später einzuziehen. Ich versuchte, überallher positive Energie zu ziehen, und erinnerte mich an meine guten Taten in der Vergangenheit, in der Hoffnung, dass mein gutes Karma mir helfen würde. Dann machte ich den dritten Anruf, der mir wie ein letzter Hoffnungsschimmer vorkam.
Ein vernünftiger Termin in wenigen Tagen! An der mütterlichen und liebevollen Stimme der Dame konnte ich erkennen, dass sie wohl um die 70 sein müsste. Ich war mir sicher, dass alles gut werde, sogar sehr gut. Am Tag der Besichtigung machte ich mich schick und überlegte, einen Blumenstrauß mitzunehmen, doch ein Rest von Vernunft in meinem Gehirn hinderte mich in letzter Sekunde daran. So ging ich los zur Besichtigung der Wohnung meiner Träume. Ich erreichte die Adresse und staunte, dort eine Versammlung von dreißig arabisch aussehenden jungen Männern und Frauen anzutreffen. Aus Neugier näherte ich mich und hörte, dass sie alle den syrischen Dialekt sprachen. Innerhalb von weniger als einer Minute war mir klar, dass sie genau wie ich, ermutigt durch die mütterliche Stimme der Vermieterin, zur Besichtigung der Wohnung meiner Träume gekommen waren. Was nun? Würde uns die Vermieterin eine Prüfung auferlegen, um festzustellen, wem die Wohnung rechtmäßig zugestanden werden sollte? Welche Eigenschaften müssten wir haben, um diesen Wettbewerb zu gewinnen? Hätte ich einen Lebenslauf mitbringen sollen?
Optimistisch kehrte ich zu meinem alten Wohnort zurück. Die Drüsen in meinem Körper sonderten ausreichend Endorphine ab, um mich zu überzeugen, dass meine Aufenthaltserlaubnis um zwei Jahre verlängert werden würde, sodass ich genug Zeit haben würde, die Wohnung meiner Träume zu finden.