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Deutschland: Eine alternative Heimat

Dr. Hani Harb. Forscher an der Harvard Universität, USA. Ehemaliger Forscher an der Philipps-Universität Marburg, Deutschland.

Letztes Jahr Weihnachten fiel mir eine kleine Hütte in der Mitte des Weihnachtsmarktes auf. Die angebotenen syrischen Speisen, ihre Farben und Gerüche unterschieden sich von den anderen Ständen. Nichtsdestotrotz stellten sich die Leute an, um syrischen Hummus und Ful mit Kreuzkümmel und Zitronensaft zu kosten.

Meine Vorstellungen ließen mich an die Altstadt von Damaskus denken, diese älteste aller Städte, die ich vor mehr als 17 Jahren verlassen hatte, um meine Träume zu verwirklichen. Heute sehe ich neue Einwanderer, die aus der ganzen Welt und vor allem aus Syrien nach Deutschland gekommen sind, um hier ein neues Leben zu beginnen. In einem Land, das sie eines Tages „Heimat“ (watan) nennen werden.

 

Was ist Heimat?

 Laut einem arabischen Wörterbuch bezeichnet „Heimat“ den Wohn- und Aufenthaltsort einer Person. Die Zugehörigkeit zu einer Heimat ist unabhängig davon, ob die Person dort geboren wurde oder nicht. Der Plural von Heimat ist Heimaten (awtan).

In Deutschland waren Einwanderung und Mobilität mit dem Ziel der Niederlassung weitverbreitet. Dadurch hat sich im Laufe der Jahre das Heimatkonzept grundlegend gewandelt. Bis zur Wiedervereinigung im Jahr 1990 fanden Migranten kaum Akzeptanz. Weder saßen Menschen mit ausländischen Wurzeln als Abgeordnete im Bundestag, noch spielten sie für eine deutsche Nationalmannschaft in einer der verschiedenen Sportarten. Mit dem Zuzug Tausender Ostdeutscher nach Westdeutschland und der Einwanderung von Russlanddeutschen änderte sich das. Die Akzeptanz des Anderen wurde zu einem integralen Bestandteil Deutschlands und zu einem Muss für jeden Staatsbürger.

Mit Beginn des dritten Jahrtausends setzte sich die multikulturelle Gesellschaft in den meisten deutschen Großstädten durch. Die ländlichen Gebiete bewahrten dagegen in der einen oder anderen Form ihren traditionellen Charakter. Die Nachkommen der Einwanderer begannen, Deutschland nach und nach als ihr Heimatland zu betrachten und zu bezeichnen. Sie übernahmen Positionen in Politik, Wirtschaft und im sozialen Bereich.

Jedoch kehrten gleichzeitig, wenn auch in begrenztem Maße, neonazistische Parolen zurück, die sich auf eine Ideologie beriefen, der zufolge die arische Rasse überlegen sei. Mit Beginn der Fluchtwelle aus Syrien, dem Irak, Afghanistan, dem Balkan und Afrika nach Europa kam schließlich eine beachtliche Anzahl von Einwanderern nach Deutschland. Sie wollten der Hölle des Krieges entkommen und ein neues Leben in einer neuen Heimat aufbauen. In dieser Zeit war die “Willkommenskultur” vorherrschend. Dass die Deutschen die neuen Zuwanderer herzlich empfingen, war nach allen Maßstäben etwas Außergewöhnliches.

Auf der anderen Seite nahmen nationalistische Tendenzen zu. Viele Menschen waren der Ansicht, dass Deutschland nur denen gehöre, die hier geboren wurden, oder sogar nur denjenigen, die arischer Abstammung seien. Verstärkt wurden diese Tendenzen durch Vorfälle rücksichtslosen Verhaltens seitens einiger Einwanderer. Da diese Vorfälle nur von einer geringen Zahl von Einwanderern ausgingen, stellten sie nichts Ungewöhnliches dar.

Ein “akzeptierter” Bürger in Deutschland 2018 werden

 Leider vernachlässigten deutsche Politiker die Tatsache, dass Integration ein zweiseitiger Prozess ist. Von den Geflüchteten einfach zu verlangen, dass sie sich an die deutsche Gesellschaft anpassen ohne, dass dabei die Komplexität ihrer kulturellen und sozialen Herkunft Berücksichtigung findet, ist engstirnig und könnte zu gegenteiligen Effekten führen. Integration gelingt nicht einfach dadurch, dass man eine neue Sprache oder einen neuen Beruf erlernt.

Die neuen Einwanderer sind keine Maschinen, die man neu programmieren könnte. Sie haben das Recht darauf, dass ihre neue Heimat sie mit einer gewissen Flexibilität empfängt, sie anerkennt und mit Geduld integriert, ohne dass sie ihr kulturelles Erbe aufgeben müssen. Gerade das verleiht Deutschland heute seinen Glanz und seine Vielfalt.

Heimat erfahren als Einwanderer und Staatsbürger

 Seit 2013 bin ich deutscher Staatsbürger. Als einstiger Zuwanderer und Neubürger glaube ich, dass der Umgang mit der Einwanderungswelle im Jahr 2014 ein Beleg für Deutschlands Offenheit und Toleranz gegenüber dem Anderen ist.

Mir ist bewusst, dass Zuwanderer immer wieder durch schlechtes Verhalten auffallen, mit dem sie sich in erster Linie selbst schaden. Wir können aber bei über einer Million Zuwanderern, die innerhalb von nur einem Jahr eingewandert sind, nicht aussortieren und auswählen, wen wir haben wollen und wen nicht. Sie repräsentieren sämtliche Schichten ihrer Herkunftsgesellschaften. Einige von ihnen sind erfolgreich, die anderen streben danach. Nur eine kleine Minderheit sind schlechte Menschen. Es besteht kein Zweifel daran, dass unter den Zuwanderern Menschen mit Berufen und Fertigkeiten sind, die Deutschland in Zukunft nach vorne bringen werden.

Abschließend möchte ich alle Zuwanderer in Deutschland dazu aufrufen, die Sprache zu lernen, ihre Zeugnisse anerkennen zu lassen oder einen neuen Beruf zu erlernen, um sich neue Zukunftsperspektiven zu erschließen. Ich rufe sie dazu auf, an ihrer Kultur festzuhalten und auf Gewalt zu verzichten. Ich möchte die Deutschen dazu aufrufen, den Integrationsprozess von der anderen Seite zu öffnen, um die Zuwanderer und ihre Kultur kennenzulernen, die aus der Wiege der gesamten Menschheit kommt. Ich rufe die alteingesessenen Zuwanderer -die Syrer und Araber unter ihnen- auf, den Anderen zu akzeptieren, ihm zu helfen, und seine Integration hier in seiner neuen Heimat Deutschland so gut wie möglich zu unterstützen.

Übersetzung: Mohamed Boukayeo, Mahara-Kollektiv, boukayeo@mahara-kollektiv.de

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