Souzan Ali. Schriftstellerin und Lyrikern aus Syrien
Ich kann nicht mit einer Hand an der Stirn und der anderen sanft mein rosa Kleidchen schwingend diesen Satz als heiseren Gruß über die Lippen bringen: Uns geht es gut. Denn diese Gesten sind mit dem Krieg gestorben und wurden durch die Emoji ersetzt, die jetzt im Umlauf sind. Wenn du mir in die Augen schaust, wirst du darin ein Ruder sehen, dass dir sagt: Ich vermisse dich.
Und ich weiß nicht, wie ich das, was ich dir sagen möchte, in einem Brief ausdrücken soll: „Der Weg des Glücks wurde elender als die Geschichten, die schmerzen, weil wir sie nicht zu Ende bringen konnten.“
Doch lass uns lachen, denn wir haben unsere Herzen an die Lüge gewöhnt und an den Witz, an dessen Ende das Schaf wegen der List des Fuchses stirbt. Am besten haben wir gelacht, wenn wir in der Trauergesellschaft beieinander saßen, bei der das Schwarz, das Klagen und das Schluchzen unsere Laute schwer, verstellt und schrill klingen ließen.
Warum leben wir nicht einfach wie das hysterische Lachen in den Trauergesellschaften?
Wir können es nicht. Weil, meine liebe Freundin, es Dinge gibt, die wir nicht begraben haben, sondern es zuließen, dass sie auf ihrer Bare über unseren Köpfen kreisen. Sie sind es, die an unserer Statt den Gästen den Kaffee anbieten. Sie sind es, die nachts Umm Kulthum hören, damit wir schlafen wie ein dahingeworfenes Kleid auf dem Stuhl der einsamen Näherin. Sie verschwendet singend ihre Zeit mit dem Stechen der Nadel, ohne das damit irgendetwas besser wird.
Mich hat deine Sehnsucht verwirrt, die sich in deinem letzten Brief zwischen die Buchstaben schlich, wie eine gelbe Natter. Deine Felder sind trocken und der Sonnenuntergang hinterlässt seine Opfer auf deiner Dachterrasse.
Meine Liebe, warum lässt du das Alte nicht ruhen? Warum versuchst du all diese Erinnerungen neu einzukleiden? Die Dinge, die wir nicht loslassen, ersticken. Willst du, dass die Bilder der Hochzeit deiner Mutter in eurem Wohnzimmer einen Galgen bauen, so dass sie sterben, wie diese Stadt? Willst du, dass die Katze eures armenischen Nachbarn, der im Schlaf seinen Verstand verlor, jammert und das Essen verweigert und sich in einem kaputten Auto verkriecht?
Das Vergessen wohnt in einem schönen Schloss, dass auf einen Hof mit Bächen, Basilikum und Lilien blickt und auf ein großes Labyrinth, in dem ein Schwarm von Pfauen herumstolziert. Dort sitzt es mit der schwarzen Katze beim Frühstück. Danach starrt es durch das Fenster seines Büros auf die Fische in der braunen Weite und denkt sich die schönsten Geschichten für uns aus. Die Sehnsucht ist eine unheilbare, egoistische Krankheit. Sie will eine Hand, eine Familie und einen Tisch ohne Nachmittagsschatten. Sie klaut Eier aus den Nestern und zerschlägt sie auf finsteren Wegen.
Willst du dich mit den edlen Dingen verbinden, die jede Verbindung zurückweisen, nur damit es dir dein Puls nicht übel nimmt? Jeden Abend breitest du die alte Baumwolldecke auf deinem Bett aus und schläfst einen alten Schlaf, wie ein Leichentuch.
Die Sehnsucht ist die Blume auf den Gräbern. Doch kann man sich nicht erfreuen an den Grabsteinen, die schnell errichtet werden, bevor das Leben zu seiner Rastlosigkeit zurückkehrt. Symbole und Legenden sind es, die die Menschen stets zu schminken und zu pudern suchen. Wegen ihrer ewigen Furcht. Wegen der Hoffnung. Wegen des Lichts des Leuchtturms am Ende des Lebens. Die Sehnsucht selbst ist eine Legende und das muss sie auch sein, damit wir leben können. Ich möchte, dass du dich inmitten der Gesichter schminkst, deren Blicke du nicht verstehst. Ich möchte, dass die Wassertropfen, die im Schwall der Dusche auf deinen Körper prasseln, süß in den Fluss strömen, und dann ins Meer, und dann in ein Schicksal, das sich wie ein Unheil auf die Freiheit stürzt.
Wusstest du, dass sie uns den Strom für zwei Tage abstellten? Als ich meinen Nachbarn nach dem Grund fragte, hat er gelacht und ist ohne etwas zu sagen in seinem Haus verschwunden. Fühlst du wie schmerzhaft, beängstigend und komisch dieses Bild ist?
Ich habe es an die Raben verfüttert, die mir seit kurzem einen guten Morgen wünschen.
Werde ich denn überleben?
Werde ich denn ein Kind haben, dem ich von dieser Stadt berichten kann?
Ah, bevor ich es vergesse, ich will dir noch erzählen, dass ich seit einiger Zeit lerne, Henna nach jemenitischer Art auf meinen Körper zu zeichnen. Es ist eine schöne Verführung, die mich die täglichen Eilmeldungen vergessen lässt und mich daran erinnert, dass ich eine Frau bin. Noch immer eine Frau mit weichem Fleisch, das immer noch betört.
Der Unterschied zwischen uns beiden ist, meine Freundin, dass ich in der unendlichen Weite lebe und mit den Angelschnüren der Fischer flirte, die das Leben bedeuten, während du einen Blumentopf im Supermarkt kaufst und statt deine Rose hinein zu pflanzen, die Schlüssel deines alten Hauses in Damaskus darin vergräbst. Du bist gegangen und doch hast du dich in ein Andenken verwandelt in der Vitrine einer Witwe. Ich bin die Weite und du bist eine Muschel an einem weit entfernten Strand, die aus dem Meer gekommen ist und nun dessen Klang wiederholt ohne dabei den Blick von den Wellen abzuwenden.
Vor zwei Tagen hast du mir ein schönes Bild geschickt. Du trägst darauf einen Rucksack und wartest auf die S-Bahn. Du sagtest mir, dass die Sonne schön sei und der Wald auf der anderen Seite. In deinem Blick lag eine Geste des Abschieds, begleitet von einer gebrochenen, traurigen Melodie.
Wenn du das nächste Mal in die S-Bahn steigst, um in die Stadt zu deiner Arbeit zu fahren, lass die Bilder zurück von deiner Hochzeit und den Tränen, die deinem Elternhaus galten. Die Bilder deiner Hochzeitsnacht und der Kneipe Bab Tuma, in die nur noch die Arbeitslosen einkehren. Löse dich von den Fesseln der Grenzen in einer eiskalten Nacht während die heißen Teegläser um den Ofen stehen, und lass alles zurück. Die durch den Regen verschlammten Gassen und die Kischkbällchen, die zum Trocknen auf den Dächern liegen. Den hungrigen Scharfschützen im Militärbus und den Blindgänger, der nicht im Haus deiner Verwandten explodiert. Und dein grünes Kleid, das deine Schwester nicht richtig an der Wäscheleine befestigte, sodass es wegflog und nun eine andere Frau bekleidet. Sieh die Schönheit des Waldes mit all seinem Leben darin und steige beschwingt die Treppen der S-Bahn hinauf. Und sieh wie der Ertrinkende in die Baumkrone klettert und zu einer Seifenblase wird.
Übersetzung: Leonie Nückell