Von Sabiha Khalil
Die Genderproblematik ist in allen Ländern gleich, egal welchen Platz sie in der internationalen Rangordnung einnehmen. Frauenrechte sind schließlich universell und nicht auf bestimmte Länder beschränkt, wie einige derjenigen glauben, die sich mit Personalentwicklung, der gesellschaftlichen Stellung von Frauen und Geschlechterdiskriminierung beschäftigen. So mancher gibt sich der Illusion hin, dass fortgeschrittene Länder mit einem hohen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungsstand die Diskriminierung zwischen den Geschlechtern bereits vollständig überwunden hätten. Doch die Realität sieht anders aus.
Die Idee, diesen Artikel zu schreiben, kam mir, als ich im April an einer Konferenz in Luckenwalde in Brandenburg teilnahm, die sich mit der Situation von Flüchtlingen und den Problemen der Integration beschäftigte. Viele Entscheidungsträger des Bundeslandes und der Regierung waren anwesend. Dazu kam eine interessante Gruppe von Vertretern zivilgesellschaftlicher Einrichtungen, speziell solcher, die Flüchtlingen Dienstleistungen und Unterstützung anbieten. Die Diskussionen und Gespräche an insgesamt zehn runden Tischen zu jeweils einem bestimmten Thema mündeten in Empfehlungen und Vorschlägen. Zufällig war ich an dem Tisch gelandet, der sich dem Thema „Kinderkrippen und -gärten – Herausforderungen und Schwierigkeiten“ und allem, was damit zu tun hat, widmete.
Mit dabei waren zwei deutsche Frauen, von denen die eine Leiterin einer Flüchtlingsunterkunft in Brandenburg und die andere Kindergärtnerin war. Als ich etwas über die Schwierigkeit erfahren wollte, freie Plätze für syrische Kinder in solchen Einrichtungen zu bekommen, verwies letztere auf den dramatischen Mangel an Erziehungspersonal. Daraufhin fragte ich sie: „Wieviel Frauen arbeiten in Ihrem Team?“ Angesichts dieses üblicherweise sehr weiblich geprägten Berufs war ihre Antwort kaum überraschend: „V Männer und zwanzig Frauen. Im Heim sind drei Frauen und ein Mann beschäftigt.“ Als ich nach den Gründen für das Desinteresse vieler Männer an diesen Berufen fragte, erhielt ich die übliche Antwort, dass dies ein Arbeitsfeld für Frauen bzw. Mütter sei. Außerdem sei es eine schlecht bezahlte Tätigkeit. Ist das der wirkliche Grund oder hat die ganze Sache noch eine andere Dimension?
In der Tat ist das Klischeedenken, bestimmte Berufe nur Frauen und andere nur Männern zuzuordnen, eine der Prämissen, auf denen die Diskriminierung zwischen den Geschlechtern beruht und die für den weiten Abstand zwischen ihnen im Berufsleben mit verantwortlich ist. Der Frau gebührt die Aufgabe, allein die Kinder zu betreuen, während der Mann davon völlig befreit ist. In den westlichen Ländern wurden Frauen schon vor mehr als hundert Jahren in den Arbeitsmarkt integriert, weil man in vielen Bereichen nur schwer auf ihre Fähigkeiten verzichten konnte. Die Frage der Kinderbetreuung wurde an entsprechende Erziehungseinrichtungen abgegeben, die sich um die Betreuung der Kinder unter direkter oder indirekter Aufsicht des Staates kümmern. Aber auch im öffentlichen Raum behielt diese Tätigkeit ihren weiblichen Charakter, sodass Erzieherinnen nach wie vor als bezahlte Ersatzmütter gelten.
Auffällig ist auch, dass die Gehälter von Kindergärtnerinnen so niedrig sind, dass Männer diesen Beruf eher meiden. Andererseits kann man feststellen, dass sich Männer um ähnliche Tätigkeiten, wie zum Beispiel die Betreuung von Senioren, regelrecht reißen, denn dort lässt sich relativ viel verdienen. Das trifft auch auf den Beruf der Reinigungskraft zu, in dem man ein relativ hohes Gehalt erzielen kann. Angesichts der guten Entlohnung und des zu hohen Anteils männlicher Arbeitnehmer in dieser Branche haben Frauenorganisationen bereits eine Quote für weibliche Mitarbeiter bei Reinigungsfirmen gefordert.
Ein Grund für die schlechte Bezahlung von Kindergärtnerinnen und Erzieherinnen besteht wahrscheinlich darin, dass diese Berufe mit der Rolle der Frau verknüpft werden. Dieses Arbeitsfeld gilt somit einerseits als weitgehend „weiblich geprägt“ und andererseits als „ärmlich“. Es ist schon paradox, dass europäische Frauen noch immer für gleichen Lohn für gleiche Arbeit kämpfen müssen, während gleichzeitig einige Berufe aufgrund der niedrigen Gehälter fast ausschließlich weiblich geprägt sind. Das sollte man sich einmal genauer ansehen!
Die Soziologie hält Kindererziehung keineswegs für einen einfachen Beruf, denn die in der frühen Lebensphase eines Menschen erworbenen Werte, Positionen, Neigungen und Erfahrungen sind Grundlage der zukünftigen Entwicklung. Diese wird von vielen auf das Kind einwirkenden Menschen beeinflusst. Andererseits ist aber auch die Meinung verbreitet, dass Frauen im Umgang mit Kindern einfach besser seien. Es handle sich um eine nicht wegzudiskutierende Veranlagung, weswegen es müßig sei, mehr Männer in diesen Berufen zu fordern. Andere wiederum neigen zu der Auffassung, dass Männer unfähig seien, die emotionale Distanz zum Kind zu überwinden, weil ihnen das „Muttergefühl“ fehle und sie nicht die Mutterrolle ausfüllen könnten. Dabei wird die Vaterrolle in der Dualität der Bildungs- und Erziehungsaufgaben, in der die Rolle der Mutter trotzdem nicht zu unterschätzen ist, ausgeblendet. Darüber hinaus geht es um die Schaffung ausbalancierter Beziehungen des Kindes zu beiden Geschlechtern bereits in seinen ersten Lebensjahren. Außerdem übersehen viele die negativen Auswirkungen der Abwesenheit des Vaters in Kinderbetreuungseinrichtungen auf die Psyche des Kindes. Zuweilen führt das dazu, dass Kinder sich später im Leben radikalisieren oder kriminell werden.
Man kann sagen, dass die Sicht auf die von Mann und Frau ausgeübte Rolle in allen Gesellschaften ziemlich ähnlich ist, weil sich der jeweils herrschende Wertekanon, der insbesondere die Interessen der Männer unterstützt, im Laufe der Geschichte verfestigt hat. Der Junge, der sieht, dass sich sein Vater nicht an der Hausarbeit beteiligt, wird genau dieses Verhalten imitieren, wenn er erwachsen ist. Wird von ihm dann verlangt, im Haushalt mitzuarbeiten, hat er eine ganz einfache Antwort parat: „Mein Vater macht das auch nicht.“ Das Einmaleins der Männlichkeit besagt, dass die Beteiligung an Tätigkeiten, die in der Gesellschaft als reine Frauenarbeit eingestuft werden, abzulehnen ist. Das lässt sich ändern, indem die Männer in eben diese Tätigkeiten eingebunden werden.
Diese Artikelserie wird in Kooperation mit WDRforYou übersetzt und veröffentlicht.