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Migrantentagebuch, dritter Eintrag: Schwarz & Weiß

Nasrin Abu Baker

Von. Marwa Mahdi Abidou

Wenn du dich entscheidest zu gehen, machst du einen bewussten Schritt, deine alte Welt zu töten, und gibst deinem Geist einen neuen Weg. Die Farbe der alten Welt wird im Laufe der Zeit verblassen, und die Merkmale des neuen Weges werden im Gegenzug deutlicher. Du versuchst, weiter dazuzugehören, dich in dem neuen Weg zu „integrieren“, aber du kannst es nicht ganz schaffen, denn es gibt Dinge, die zwischen den zwei Welten hängen bleiben. Solche Dinge gewinnen jedes Mal an Bedeutung, besonders in dem Moment, in dem du dir vorstellen kannst, dass du unter ihnen kein Fremder mehr bist.

Der schwarze Mann im Keller: Nach langem Suchen nach einem warmen Zuhause, um dem Winter der kalten Stadt zu entfliehen, traf ich eine alte Frau, die nach einer Mitbewohnerin suchte, um die Einsamkeit in ihrem großen Haus bewältigen zu können. In unserem ersten Gespräch zeigte die Frau großes Interesse, das Leben auf der anderen Seite des Mittelmeers zu entdecken. Sie fragte mich nach dem Sand auf den Straßen unseres Landes, nach den Kamelen als Verkehrsmittel sowie nach den wilden Nilkrokodilen. Sie war einverstanden, mich in einem Zimmer in ihrem Haus wohnen zu lassen. Als Gegenleistung dürfte ich niemanden zu mir einladen, müsste den Müll täglich rausbringen, wöchentlich das Haus putzen und ihr monatlich eine bestimmte Summe zahlen.

Wie vereinbart kehrte ich am nächsten Tag mit meinen Koffern und großer Hoffnung zu ihr zurück. Ich klopfte an die Tür und wartete lange, bis sie nur ein paar Zentimeter ihrer Tür öffnete. Sie entgegnete ohne zu zögern: „Sie können bei mir nicht wohnen. Meine Tochter hat Angst um mich vor den Schwarzen“. Dann schloss sie schnell die Tür, bevor ich ihre Wörter verstehen konnte. Es war ein sehr kalter Moment – fast so als könne ich meinen Körper nicht mehr spüren.

Dieselben Gefühle formten sich Jahre später, als ich auf dem Weg in den Keller war und dabei zufällig meinen Nachbarn im Aufzug traf. Er erzählte mir scherzhaft, dass er als Kind Angst hatte, in den Keller zu gehen, weil der schwarze Mann dort im Dunkeln auf die bösen Kinder wartete. Ich verstand seinen Witz nicht, aber ich habe verstanden, warum die Reisenden in öffentlichen Verkehrsmitteln lieber auf Abstand von mir stehen bleiben, als neben mir zu sitzen.

Die weiße Faust: In einer kalten Winternacht, habe ich auf den Bus gewartet, um nach Hause zu gehen. Die Stille beherrschte die Straßen, nur das Gerumpel einiger vorbeifahrender Autos brach sie ab und zu. Diese Nacht scheint mir nebelhaft zu sein. In meiner Erinnerung blieb sie nur ein verwirrtes Bild von drei Männern und einer klaren weißen Faust, die sich zusammengezogen und blitzschnell in meine Richtung bewegte. Sie sah zuerst klein aus, vergrößerte sich ganz schnell, bis sie an meinem Gesicht abstürzte. Ich erinnere mich an den Krach des Schlagens auf meine Brille sowie an das Geräusch des Sturzes meines Körpers auf den Boden. Ein paar Stunden später versuchte ich, meine Augen zu öffnen, um Ort und Zeit zu erkennen. Alles war neblig. Ich sah nur die Farbe „weiß“, alles war weiß: die Wände, die Betten, die Vorhänge, sogar die Kleidung von Ärzten und Patienten.

Im Hintergrund hörte ich leise Stimmen, vermischt mit dem Echo des Ziehens von Betten auf weichem Boden. Ich versuchte zu sprechen, meine Stimme gehorchte mir nicht. Ich musste warten und die Tür des Zimmers beobachten. Nach einer Weile betrat ein schwarzer Mann leise den Raum und schob eine mit Reinigungsmitteln beladene Karre vor sich hin. Er leerte die Mülltonnen, bewegte sich stumm zwischen den beiden Betten, reinigte den Boden und versuchte, dessen weißen Glanz wiederherzustellen, der mit der Zeit verschwunden war. Das kleine Mädchen, das die andere Patientin im Zimmer besuchte, stellte sich vor ihn und sagte: „Was hast du getan, um so auszusehen? Du bist böse.“ Meine Zimmernachbarin streckte schnell ihren Arm aus, zog das Kind vor dem Mann weg und begann, sie mit unklaren Wörtern zu tadeln.

Der Mann blieb ca. eine Minute stehen, versuchte die Wörter des Kindes zu überwinden, aber sein Herz konnte es nicht, er versuchte die Tränen seiner Erniedrigung zu verbergen und eilte hinaus. Dann hörte ich, wie das Mädchen ihrer Mutter antwortete: „Okay… keine Sorge, Mutti. Sie werden dich in einem anderen Zimmer unterbringen.“ Dann flüsterte sie: „Sie ist auch eine der Bösen“. Ich spürte ihren kleinen Finger, als er auf mich hinwies. Ich hatte keine Kraft, mich zu bewegen oder meine Tränen zu stoppen. Ich spürte Schreie in meinem Herzen, die beinahe in die Welt herausplatzten, und erkannte, wie sich mein Leben in eine Reihe verzweifelter Versuche dazuzugehören und harte Momente der Schmerzen verwandelt hatte. Dazu gehört auch meine ewige Suche nach einer Antwort für die verwirrende Frage: Wie kann ich zu einer Welt gehören, in der die Menschen nur auf zwei Hautfarben „Schwarz und Weiß“ reduziert werden?

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 01-02/2019.

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