Rosa Yassin Hassan
Aus unterschiedlichen Gründen, deren Analyse den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde, versuchen viele Wissenschaftler das Phänomen der Islamfeindlichkeit und die zunehmende Feindseligkeit im Westen gegenüber Geflüchteten aus arabisch-islamischen Ländern mit dem Antisemitismus der NS-Zeit zu vergleichen.
Der deutsche Historiker Wolfgang Benz beispielsweise verweist auf strukturelle Ähnlichkeiten zwischen dem deutschen Antisemitismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts und der Islamkritik Anfang des 21. Jahrhunderts. Darunter zählt auch eine Art von Panik, die sowohl damals als auch heute einen großen Teil der Deutschen ereilt, angesichts der Ankunft von Fremden in Deutschland. Diese stellen – ihrer Meinung nach – eine “große Bedrohung” für ihr Leben dar. Trotz dieser Parallelen besteht meiner Meinung nach ein grundlegender historischer und zivilisatorischer Unterschied zwischen beiden Fällen.
Heute gibt es viele Stimmen der Vernunft, die rassistischen Übergriffen gegen Geflüchtete entgegentreten, was zuletzt auch Horst Seehofer zu spüren bekam. Während den Juden, wie wir alle wissen, unmittelbare und direkte Gewalt angetan wurde, ist die Gewalt gegen Geflüchtete meist verbal und symbolisch. Einer der wichtigsten Gründe für die Angst, die dieser Gewalt zugrunde liegt, ist die Unkenntnis des Fremden. Diese Unkenntnis wird von rechten Medien missbraucht, um rassistische Parolen über Geflüchtete zu verbreiten. Genauso werden aktuelle wirtschaftliche und politische Krisen missbraucht, um bei einem Teil der Deutschen eine Art gruppenbezogene Panik auszulösen. Diese wird mit dem Argument unterfüttert, Geflüchtete würden die deutsch-europäische Lebensweise und Kultur verändern.
Eine ähnliche Haltung finden wir auf der anderen Seite unter Geflüchteten. In ihren Reihen verdichten sich Verschwörungstheorien, in denen die Deutschen als homogener Block dargestellt werden, die Geflüchtete ablehnen und ihre religiösen und kulturellen Besonderheiten bedrohen. Dabei wird ganz undifferenziert und ohne ein tieferes Verständnis der Vielfältigkeit und Pluralität der deutschen Kultur geurteilt.
Diese enge und einseitige Vorstellung von Zugehörigkeit ist eine der Ursachen für dieses gegenseitige Missverständnis. Ein Missverständnis zwischen Deutschen und Arabern, das entsteht, wenn sich beide Seiten hinter eindimensionalen Zugehörigkeiten verschanzen und die Anderen dämonisieren und zu Feinden erklären, denen man sich entgegen stellen müsse, um die eigene Zugehörigkeit wahren zu können. Dieses Missverständnis verhindert letztlich jeglichen produktiven Kulturaustausch. Kulturelle Vielfalt steht in diametralem Widerspruch zur Vorstellung eindimensionaler Zugehörigkeiten.
Kultureller Pluralismus bedeutet, dem Anderen und seiner Kultur offen zu begegnen, Akzeptanz zu leben, und voneinander zu lernen. Aus dieser Akzeptanz heraus erwachsen Zugehörigkeiten, die vielfältig sind. Einige Geflüchtete isolieren sich und hegen das Vorurteil, Deutsche seien eine homogene Einheit, die sie ablehnt. Ähnlich denkt ein Teil der deutschen Bevölkerung Geflüchtete seien alle verschlossen und extremistisch, und würden in Deutschland Angst und Schrecken verbreiten. Aktionen führen zu Reaktionen und das Zusammenleben wird so zu einem latenten Kulturkampf, in dem positiver Kulturaustausch unmöglich wird.
In einer multikulturellen Gesellschaft wie Deutschland stellt das die eigentliche Bedrohung dar, wie manche Wissenschaftler argumentieren. Ein angespanntes Klima der Feindseligkeit, das an Zeiten der Schande der deutschen Geschichte erinnert, mit deren Aufarbeitung die Deutschen seit mehr als 70 Jahren beschäftigt sind.
Übersetzung: Serra Al-Deen, Mahara-Kollektiv, aldeen@mahara-kollektiv.de