Von Erhard Brunn*
Für sehr viele junge Menschen könnte sich das Thema Integration in der Schule entscheiden. Die Erfahrungen mit deutschen Schulen sind für Menschen, die selber oder deren Familien erst in den letzten Jahren nach Deutschland kamen, natürlich sehr unterschiedlich. Erhard Brunn berichtet in dieser und den zwei folgenden Ausgaben von ABWAB über seine Erfahrungen.
Schule als große Chance
Manche in den letzten Jahren aus Syrien geflohene Journalisten beschrieben mir schon 2016, wie leicht Kinder Anschluss in der Schule fänden. Ich fasste die Erfahrungen in meinem Buch über Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer aus dem letzten Jahr zusammen. Amloud Alamir schrieb darüber schon zuvor im Herbst 2016 im „Tagesspiegel“, Yahya Alaous in der „Süddeutschen Zeitung“ über die eigenen Kinder und Mahmoud Serhan im „Handelsblatt“ darüber, was er auf der Straße beobachtete.
Amloud Alamir beschrieb, wie ihr Sohn auf einem Schulfest auf dem Klavier ein Stück klassischer Musik vortrug. Die Auswahl des Stückes (Beethovens „Für Elise“) habe wohl auch mit der Zuneigung zu einer Mitschülerin zu tun gehabt. Yahya Alaous erzählte schon damals, wie schnell seine Tochter deutsche Freundinnen in der Schule gefunden hätte und sich dort sehr wohl zu fühlen schien. Sie habe auch schnell Deutsch gelernt. Und Mahmoud Serhan zeigte sich in einem Artikel für das Handelsblatt berührt und für die Zukunft ermutigt, wenn er beobachtete, wie schnell Kinder auf der Straße miteinander in Kontakt kamen und Freundschaft zu schließen schienen. Sie schienen „Kriegstraumata“ Stück für Stück spielend zu überwinden.
War dies alles zu schön, um wahr zu sein? Zumindest sind es gute, ermutigende Einstiegserfahrungen, die manche hatten. Aber diese Erfahrungen sind natürlich nicht überall gleich und nicht überall gut. Schwierigkeiten gab es aber auch schon über Jahrzehnte mit den Kindern vieler, die als sogenannte „Gastarbeiter“ vor 40-50 Jahren z.B. aus Marokko oder der Türkei nach Deutschland kamen, um hier zu arbeiten. Und dabei natürlich auch schon vor allem mit jenen Kindern, die aus „bildungsschwachen“ Familien kamen. Sie bekamen allerdings keinen Deutschunterricht und keine Integrationsklassen oder Ähnliches. Sie kamen und fingen in kürzester Zeit an zu arbeiten.
Heute also Syrien, Irak oder Afghanistan. Vieles ist natürlich anders zwischen dort und hier. Die Klassen sind in vielen anderen Teilen der Welt natürlich größer als in Deutschland. Der Lehrer oder die Lehrerin hat es oft mit viel weniger Unterrichtsmaterial und mit großen Schülerzahlen zu tun. Es ist ihm und ihr daher kaum möglich, engen Kontakt zu den einzelnen Schülern oder deren Eltern aufzubauen. Der Schüler wiederum wird seine Aufgabe darin sehen, sich möglichst unauffällig und angepasst zu verhalten und brav mitzuschreiben, was der Lehrer an die Tafel schreibt oder sagt.
In Deutschland ist vieles ganz anders gedacht. Bei kleiner Schülerzahl und vielen Unterrichtsmaterialien und anderen pädagogischen Hilfsmitteln ist eine ganz andere Interaktion zwischen Lehrer und Schüler angestrebt. Frontalunterricht, bei dem der Lehrer vor der Klasse steht und nur auf diese einredet, wird als nicht mehr zeitgemäß betrachtet. Vielmehr wird erwartet, dass der Schüler die Möglichkeit erhält, sich aktiv zu beteiligen. Gruppenarbeiten, Exkursionen und Ähnliches können das Lernen noch interessanter machen.
Schüler sollen nicht nur Inhalte, sondern auch Methoden lernen, um selbständig später auch andere Themen erarbeiten zu können. Sie sollen allein, aber auch in der Gruppe arbeiten und das Gelernte in der Schulklasse verständlich und lebendig vortragen können. Vielerorts wird auch frühe Praxisnähe, z.B. für eine Orientierung auf eine spätere Lehre, angestrebt.
Wir oder ich?
Viele Gesellschaften dieser Welt honorieren es vor allem, wenn jemand beweist, sich gut in einer Gruppe zu verhalten. Andere verlangen aber auch, dass jeder, auch ein Schüler, lernt, sich als Person zu entwickeln und auch darzustellen. Deutschland gehört ganz sicher zu den Ländern, in denen ein Schüler zwar gruppenfähig sein soll, aber eben auch sich selber darstellen können muss. Letztlich wird das „ich“ dem „wir“ vorgezogen. Auch wenn sich dies in der Schule noch nicht so deutlich zeigt, so ist die Gesellschaft doch darauf angelegt.
Sonst passiert, was mir der Leiter einer großen Journalistenschule berichtete. Junge türkische Migranten, die sich bei ihnen bewerben, würden im Bewerbungsgespräch so freundlich und zurückhaltend auftreten, würden so wenig „Ellenbogen“ zeigen, dass man nicht glauben könne, sie würden sich im „rauen Berufsleben“ z.B. gegen erfahrene Berufspolitiker oder Wirtschaftsvertreter bewähren. Sei es nun, um ein Interview zu bekommen, es zu führen oder um mit anderen heiklen Informationen aus Politik und Wirtschaft umzugehen. Er habe nicht erwartet, dass sie später Prominenten, die sie interviewen sollen, wirklich interessante Informationen entlocken oder gar „aus der Reserve locken“ könnten. Dennoch habe es genau dieser angeblich zu nette Bewerber, um den es sich vor allem drehte, kurz darauf auf anderem Weg in dasselbe prominente und sogar auf Konkurrenz untereinander getrimmte Medienhaus geschafft.
Im zweiten Teil geht es in der nächsten Ausgabe um die Bedeutung der Eltern für den Erfolg ihrer schulpflichtigen Kinder, das Verhältnis zwischen Eltern und Lehrern und den Übergang von der Schule in die Ausbildung. Im dritten Teil dreht sich alles um die Bedeutung der deutschen Sprache für die erfolgreiche Integration in die Gesellschaft und die persönliche Weiterentwicklung.
Von Erhard Brunn* Historiker und Berater für Interkulturelle Kooperationen