Souad Abbas.
Übersetzung: Serra Al-Deen, Mahara-Kollektiv, aldeen@mahara-kollektiv.de
Die syrische Tradition des Geschichten-Erzählens lässt das Projekt “Haus der syrischen Geschichten” in Berlin wiederaufleben, wo das Theaterstück “Syrische Morgen” (“Sabahat Suriyya”) unter der Leitung des syrischen Theaterschaffenden Bassam Dawood zur Aufführung kam. Auf der Bühne standen Fatin Obaid, Taghreed Dawas, sowie der Firas Younis, welche ihre Geschichten aus Syrien, Geschichten, sie sie selbst erlebt hatten, vortrugen. Musikalisch begleitet wurde der Abend von Athil Hamdan, Gastgeberin war die Frauenorganisation “Saiedat Souria”.
Mit Bassam Dawood sprach Souad Abbas.
Das Projekt “Haus der syrischen Geschichten” möchte Erzählenden und Zuhörenden einen Raum zu bieten, um Geschichten auszutauschen, erklärt Bassam Dawood. Dieser Raum sei offen für alle Menschen, die persönliche Erlebnisse im Rahmen einer Theatervorstellung mit einem Publikum teilen wollen, wobei jede Vorstellung einen eigenen Titel trägt. Dieses Mal wurden Geschichten über syrische Morgen erzählt, ein anderes Mal ging es unter dem Titel “Punkt am Anfang der Zeile” um Neuanfänge.
Die Veranstaltung beginnt damit, dass jeder selbst zunächst eine Geschichte erzählt. Denn das Ziel des Projektes sei es es, sagt Dawood, die Menschen zu ermutigen, ihrem Inneren Ausdruck zu verleihen. Dies geschähe nicht dadurch, dass sie ihre Geschichten aufschreiben, um sie von Anderen vorlesen zu lassen, sondern dadurch, dass sie selbst in die Rolle des Geschichtenerzählers schlüpfen. So bekämen sie ein Gefühl für das Wort und den Rhythmus, in dem es gesetzt werden muss, sie erfühlen die Reaktion der Zuschauer und könnten direkt interagieren. Denn niemand sei in der Lage, die eigene Geschichte glaubwürdiger zu erzählen als man selbst.
Wir teilen unsere Geschichten mit der Öffentlichkeit
Über den Anfang des Projekts und die Zusammenarbeit mit Erzählenden und Zuhörenden, sagt Dawood, dass das Projekt habe vor ungefähr eineinhalb Jahren begonnen habe. Ihm sei eine Reihe von Workshops und Abendveranstaltungen im Rahmen anderer kultureller Aktivitäten vorausgegangen. Allerdings sei dieses Projekt weiterhin in der Entwicklung, um in der Zukunft noch dokumentarischer mit den Geschichten der Menschen umzugehen.
Andererseits bestünde eine Schwierigkeit darin, erklärt der Künstler, die Menschen dazu zu bewegen, zu erzählen. Denn nicht jeder sei es gewöhnt und besitze den Mut in der Öffentlichkeit zu sprechen und eigene Geschichten mit Fremden zu teilen. Manche würden durch die Teilnahme Anderer ermutigt, außerdem spielten die sozialen Medien bei der Verbreitung eigener Ideen und der Einladungen zu Veranstaltungen eine Rolle. Letztlich nähmen Menschen teil, die die Fähigkeit besäßen, ihre Ideen in Worte zu fassen. Hier setze das Projekt an und versuche ihnen beizubringen, wie “man seine Geschichte nachvollziehbar und mit einfachen Mitteln vorträgt, wie man Gefühle rüberbringt.”
Die Geschichten richten sich sowohl an Syrer als auch Europäer.
Das Hauptziel des Projekts, sagt Dawood, sei es, den Menschen eine Gelegenheit zu bieten, sich auszudrücken: “Das Teilen von Geschichten ist ein erster Schritt, um sich selbst und seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Gleichzeitig kann es eine psychische Stütze sein, wir alle brauchen das sehr. Wir dürfen nicht abstreiten, dass die meisten von uns im Zuge der erlebten Veränderungen traumatisiert wurden. Deshalb sind das Erzählen und der eigene Ausdruck wichtig, um Altes hinter uns zu lassen und Neues zu beginnen. Nachdem wir es geschafft haben, das, was in unserem Innersten ist, nach außen zu öffnen, werden wir in der Lage sein, genau zu wissen, was wir gerne möchten.” Der Künstler sieht in der Reaktion des Publikums den Beweis, dass dieses Ziel erreicht wird.
Auf der anderen Seite habe das Projekt “Das Haus der syrischen Geschichten” zum Ziel, das deutsche Publikum anzusprechen, um auf die kleinen, menschlichen Details dessen, was Syrerinnen und Syrer erlebt haben, aufmerksam zu machen. Denn auf dieser Bühne werde nicht von Revolution und Krieg erzählt, sondern vom syrischen Menschen und seinen Erfahrungen in Syrien. Dabei ginge es darum, zu zeigen, dass die Ereignisse in Syrien nicht bloß ein Konflikt zwischen verschiedenen Staaten und verschiedenen Interessen seien, sondern die Geschichte von Menschen, die seit mehr als 50 Jahren in Unfreiheit lebten und deren Geist und deren Fähigkeiten unterdrückt wurden. Das sei die Botschaft, die das deutsche Publikum erreichen solle, so dass der Umgang Syrern nicht bloß darauf beruhe, dass er ein Mensch ist, der vom Krieg geflüchtet ist, oder der die Resignation einer Revolution, die zum Krieg wird in sich trägt. Ganz besonders, wenn die weltweite Berichterstattung sich auf Krieg, Extremismus und den IS reduziere und dabei außer Acht lässt, dass es da eine Bevölkerung gab, die einst gegen ein mörderisches Regime der Unterdrückung aufbegehrte. Deshalb versucht das Projekt bei jeder Veranstaltung einen der Bereiche des syrischen gesellschaftlichen Lebens auf der Bühne darzustellen.
Das sei deshalb so wichtig, sagt Dawood, da das Leben der Europäer niemals auch nur irgendwelche Berührungspunkte mit dem Leben der Syrer gehabt habe, “bis wir plötzlich auf den Fernsehbildschirmen auftauchten und Teil ihres Lebens wurden.” „Wir wollen sie zumindest mit dem Umfeld bekannt machen, aus dem wir hervor gegangen sind, und sie mit unserem früheren Leben bekannt machen”, sagte er, und damit sie verstehen können “warum Syrer sagen, die wirkliche Krise sei nicht der IS, sondern das Regime, welches diesem Zustand des Extremismus eine Grundlage gegeben hat. Denn ganz besonders in Syrien hat eine Terrororganisation wie der IS keine Basis, denn der syrische Islam ist ein sozialer, gemäßigter Islam und nicht radikal oder extremistisch.”
Über die Zukunft syrischer Geschichten
Der nächste Schritt ist es, die Geschichten der Menschen zu sammeln und zu übersetzen und sie dem deutschen Publikum zu präsentieren, das braucht einiger Nachbearbeitung. Es seien zwar viele Deutsche im Publikum anwesend, sagt er, allerdings handle es sich bei dieser Gruppe um Menschen, die sich ohnehin schon für Geflüchtete und ihre Situation interessierten. Darüber hinaus sei es wichtig einen weitere Kreis zu erreichen. Was jedoch gleich bleiben soll, ist, dass es sich um Menschen und ihre Geschichten handelt.
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