Von Alia Kiwan
Infolge der Flüchtlingsströme der letzten Jahre haben zahllose arabische Frauen ihre in der Heimat erlernten Jobs verloren oder sie zwangsweise aufgeben müssen. Sie finden sich in Deutschland, in der Fremde wieder, wo sie plötzlich wie kleine Kinder sind, die das Gehen und Sprechen erst noch erlernen müssen. Nehmen wir z. B. den Fall einer Lehrerin: In ihrer Heimat war sie eine anerkannte und geachtete Gymnasiallehrerin, die es gewohnt war, früh am Morgen aufzustehen, um mit ihren Kindern das Haus zu verlassen und in die Schule zu gehen. Dort wurde sie von ihren Schülerinnen mit einem freundlichen „Guten Morgen“ begrüßt, bevor sie mit ihrer Arabischstunde begann.
Abends, nach getaner Arbeit, eilte sie schnell nach Hause, um ihren Pflichten als Mutter nachzukommen, sich anschließend noch über Prüfungskorrekturen zu beugen und den Unterricht für den nächsten Tag vorzubereiten. All dies in einem eingespielten Rhythmus. Jetzt aber, zehn Jahre später, sitzt dieselbe Frau zu Hause und wartet darauf, dass sie zum Deutschkurs gehen kann. Allerdings nicht als Lehrerin – diesmal ist sie selbst die Schülerin in dieser ihr noch so fremden Sprache. Unsere Lehrerin geht durch die gepflegten Straßen einer reichen deutschen Stadt.
In ihren Augen muten sie einsam und verlassen an, wenn sie die deutschen Straßen mit jener Gasse vergleicht, die in ihrer Heimat von ihrem in die Jahre gekommenen Haus zur Schule führt und von der sie jeden einzelnen Stein kennt.
Dies alles sind jetzt nur noch wehmütige Erinnerungen, die von der normativen Kraft des Faktischen hinweggefegt wurden. Einer Realität, mit der nicht nur unsere Lehrerin konfrontiert ist, sondern jede arabische Frau im Exil. Sie muss sich doppelt so sehr anstrengen, will sie sich in der neuen Gesellschaft behaupten. Denn hier ist sie wie das Samenkorn, das man in der Wüste ausgesät hat: Wenn sie überleben will, muss sie sich den neuen klimatischen Bedingungen anpassen, sonst wird sie vom Sand der Wüste zugeweht und niemand wird je erfahren, dass es sie überhaupt gab.
Aller Anfang ist schwer. Doch bei unter null anzufangen, wie dies arabische Exilfrauen müssen, ist wahrlich kein leichtes Unterfangen. Sie müssen neue Landkarten zeichnen und Pläne erstellen, um ein Ziel zu erreichen, das doch schon längst erreicht war! Hier in Deutschland ist nun einmal alles anders und gerade die Anfangsphase bringt besonders viele Schwierigkeiten mit sich. Da ist nicht nur die Hürde der fremden Sprache. Das ganz große Problem tut sich erst dann auf, wenn man das Sprachniveau B2 oder vielleicht auch C1 in der Tasche hat. Es fußt auf den Erwartungen an einen Arbeitsmarkt, dessen Tore einem nun vermeintlich weit offenstehen. Doch viele der Qualifikationen, die arabische Frauen aus ihren Heimatländern mitbringen, tragen im deutschen Ausbildungssystem andere Namen.
Natürlich kann man sich bei den Jobvermittlungen oder Berufsberatungsstellen informieren, aber oft ist die fehlende Übereinstimmung in den Bezeichnungen der Ausbildungsgänge ein regelrechter Schock für arabische Frauen.
Vor allem dann, wenn sie feststellen müssen, dass die langen Jahre des Studiums in ihren Heimatländern plötzlich nichts mehr gelten und sie ganz unten, bei unter null anfangen müssen. Davon abgesehen kann sich unsere Lehrerin überhaupt nicht vorstellen, wie das gehen soll: ans Lehrerpult zurückzukehren in einer fremden Sprache, der man nicht voll und ganz mächtig ist.
Auch im günstigen Fall, dass ihre in der Heimat erworbene Qualifikationen den deutschen entsprechen, sehen sich viele Frauen mit dem Problem der Anerkennung ihrer arabischen Zeugnispapiere konfrontiert. Dieses Prozedere erfordert Zeit und noch mehr Jahre des Lernens. Wenn sie dann endlich die ersehnte Anerkennung in den Händen halten, endet das Ganze oft genug damit, dass sie sich jeden Gedanken an einen Job aus dem Kopf schlagen und stattdessen zu Hause bleiben – zumal wenn sie Kinder haben. Andere denken über Jobalternativen nach, die besser zu ihrer familiären Situation passen und möglichst wenig Zeitaufwand bedeuten. Wenn Exilfrauen schließlich alle diese Probleme überwunden und sämtliche für den Eintritt in den Arbeitsmarkt nötigen Qualifikationen erworben haben, sind die geeigneten Jobs längst weg.
Viele wissen nicht einmal genau, wie man hierzulande den Arbeitsmarkt erobert, denn sie haben keinerlei Erfahrungen auf dem Gebiet. Außerdem stehen sie in direkter Konkurrenz zu den ungleich besser aufgestellten deutschen Frauen.
Alle diese Dinge verstärken auf Seiten der arabischen Exilfrauen ein Gefühl von Frustration und Abkapselung. Es wird verstärkt von den dauernden Absagen, die sie als Antwort auf ihre Bewerbungsschreiben erhalten, selbst wenn dies in Deutschland völlig normal ist. Eine deutsche Kollegin erzählte einmal, sie habe siebzig Absagen erhalten, bevor sie ihren jetzigen Job an Land ziehen konnte. Für arabische Frauen bedeutet dies in der Konsequenz, dass sie sich genauestens über den deutschen Arbeitsmarkt informieren und nach Wegen suchen müssen, durch die sie ihr professionelles Standing verbessern können.
Damit arabische Frauen in der deutschen Exilgesellschaft im Kampf um Arbeitsplätze mithalten können, müssen sie sich einen nüchternen, an der Realität orientierten Strategieplan zurechtlegen. Dieser sollte auch einen Plan B beinhalten. Sie müssen sich von ihrer familiären Situation und ihren bisherigen Ausbildungs- und Joberfahrungen lösen. Das aber ist keine Sache von nur einem Jahr, sondern geschieht durch überlegtes Handeln, wenn man denn nicht dem Druck, den man sich selbst macht, oder der Verzweiflung zum Opfer fallen will. Genau das aber scheint derzeit bei vielen arabischen Frauen der Fall zu sein. So sehen wir, wie sie alles Genannte außer Acht lassen und nur das Eine tun: den Kampf gegen die Zeit aufzunehmen.
Dieser Artikel wurde von Carsten Brückner aus dem Arabischen übersetzt. Er wird in Kooperation mit WDRforyou veröffentlicht.