Von Lilian Pithan
Neun Tage lang haben Filmemacher, Journalisten und Publikum der Berlinale auf diesen Moment hingefiebert: Bei der Abschlussgala am 18. Februar wurden zwei Goldene Bären, acht Silberne Bären, vier Gläserne Bären, zehn Preise der unabhängigen Jurys, vier Publikumspreise und fünf Förderpreise verliehen.
Der Goldene Bär als Hauptpreis geht in diesem Jahr an Testről és lélekről (On Body and Soul, 2017) der ungarischen Regisseurin Ildikó Enyedi. Ihre Geschichte über zwei zaghaft Liebende in einem Budapester Schlachthaus erhält außerdem den Preis der ökumenischen Jury, den Preis der FIPRESCI Jury und den Preis der Leserjury der Berliner Morgenpost.
Das Dokumentieren von Geistern
Erstmals verliehen wurde in diesem Jahr der Glashütte Original Dokumentarfilmpreis, der mit 50 000 Euro dotiert ist. Mit Istiyad Ashbah (Ghost Hunting, 2017) des palästinensischen Regisseurs Raed Andoni geht die Auszeichnung an einen sehr politischen Film. Die Geister, die der Titel zitiert, sind die Erinnerungen von Palästinensern, die im israelischen Moscobiya-Gefägnis eingesessen haben. Andoni lässt eine Handvoll von ihnen ihre Erlebnisse nachspielen: Gemeinsam bauen die Laienschauspieler ein detailliertes Filmset, entwerfen unterschiedliche Charaktere und erzählen von ihren Erfahrungen mit brutalen Verhören und Einzelhaft.
Andoni, der selbst in Moscobiya inhaftiert war, vermischt dokumentarischen Elemente mit traumhaften Animationssequenzen, in denen sein Alter Ego Strategien entwickelt, dem psychischen Druck der Hafterfahrung zu entgehen. Diese dunkle Darstellung der Realität wird immer wieder durchbrochen von komischen Sequenzen, in denen die Crew-Mitglieder Witze erzählen oder sich beim Diskutieren über die richtige Konstruktion einer beweglichen Trennwand in die Haare geraten. Istiyad Ashbah ist ein künstlerisch bemerkenswerter Film, der sowohl dokumentarische als auch fiktionale Elemente in eine einzige Geschichte verwebt.
Auf der Straße des Todes
Kurzfilme gehen im Festivaltrubel oft unter, dabei belegen sie doch berechtigterweise eine eigene Festivalkategorie. Der Audi Short Film Award, der mit 20 000 Euro dotiert ist, wandert mit Street of Death (2017) in den Libanon: Der Kameramann und Regisseur Karam Ghossein filmte 2004 eine Autobahn, die zum internationalen Flughafen von Beirut führt. Knapp zehn Jahre später kehrte er an den gleichen Ort zurück und sammelte erneut Bilder an und auf der Straße. Eindrücke von illegalen Siedlungen, von zwischenmenschlichen Beziehungen, von Akrobaten auf Motorrädern und nächtlichen Tanzeinlagen. Scheinbar mühelos verbindet Ghossein in Street of Death unterschiedliche Zeitstränge und erzählt 22 Minuten lang eine hochpoetische Geschichte.
Zwei Preise für ein syrisches Kammerspiel
Der Spielfilm Insyriated (2017) des belgischen Regisseurs Philippe Van Leeuw war im Vorfeld hoch gehandelt worden. Die Fans des Films wurden nicht enttäuscht: Insyriated erhält sowohl das Label Europa Cinemas als auch den begehrten Panorama Publikums-Preis. Zwischen Bombenexplosionen und Scharfschützengefechten inszeniert Van Leeuw ein Kammerspiel in einer Damaszener Wohnung: Die Hausherrin Oum Yazan (Hiam Abbas) setzt alle Mittel ein, um ihre Familie vor Krieg und Gewalt zu schützen, weigert sich aber gleichzeitig, aus ihrem umkämpften Heim zu fliehen.
Immer tiefer verstricken sie und die anderen Familienmitglieder sich in eine ausweglose Situation, die zu einer brutalen Vergewaltigung, zu Schuldzuweisungen und dem Ende nicht nur einer Freundschaft führt. Auch wenn man dem Drehbuch von Van Leeuw einige Unstimmigkeiten ankreiden könnte, ist der Film in seiner Annäherung an die maßlose Gewalt in einer Kriegssituation doch gelungen. Die beiden Auszeichnungen verdient Insyriated auf jeden Fall, nicht zuletzt, weil sie auch dazu dienen, die weiterhin schreckliche Lage in Syrien einem internationalen Publikum erneut und immer wieder vor Augen zu führen.