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Weihnachten hinterm Fenster

Von Farah Youssef

Laut internationalem Kalender handelt es sich bei Weihnachten um den offiziellen Termin für Freude, Schmuck und schöne Sachen, Shopping und Schenken, Fotos vor einer unter bunten Kugeln kaum sichtbaren grünen Tanne und vieler, vieler Wünsche. Wir aber sind nicht Teil des internationalen Kalenders.

Du bist Syrer und Flüchtling. Der Kalender deines Exils gilt für dich nicht so wie dessen Gesetze. Dich regeln stets die Zeiger des Leids. Am Morgen ziehst du dich an: schwarzer Pullover, schwarze Jeans, schwarze Schuhe, schwarze Jacke und weißer Schal, um deine Trauer zu zerbrechen, weil sie das allgemeine Bild nicht stören soll. Du setzt also ein Lächeln auf und wünschst allen, denen du begegnest, viel Glück und ein Frohes Fest und dankst herzlich, dass sie für deine Lage Mitgefühl zeigen.

Nachts streunst du durch die Straßen und mag es auch noch so dunkel sein, es fällt dir schwer, die Nacht vom Tag zu unterscheiden. Freude umzingelt dich und im Kopf hast du nichts als die Klischees vom Weihnachtsfest in deinem Heimatland, dem Land der hunderttausend Blockaden aus Kummer und Zwang. Du erinnerst dich an die zum Weinen großartigen Arbeiten von Wissam Al-Djazairi (syrischer bildender Künstler; Anm. d. Red.), an den zur Untätigkeit verdammten Weihnachtsmann, den Weihnachtsbaum mit all seinen Formen der Symbolhaftigkeit und seinem Aufschrei, dass Guernica in Aleppo stattfand. Es gibt kein Entrinnen aus dem Gewölbe der Weihnachtsfreude. Wie geht die Geschichte der Bäume eigentlich? Du kehrst in deine Unterkunft zurück und suchst in allen offiziellen und inoffiziellen Lexika nach dem Ursprung des Weihnachtsbaums, aber nichts davon überzeugt dich.

Dein Zimmer ist leer und nackt

Aus Gnade gegenüber deiner tiefsitzenden Angst vor geschlossenen, fensterarmen Räumen und königlich anmutenden Vorhängen ist deine Behausung leer und nackt, wenn man einmal von einem durchsichtigen Vorhang absieht, den du am liebsten auch noch herunterreißen würdest, es dann aber doch nicht tust. Fast sieht man den Beton der Wände des Zimmers, in dem du sitzt und in Gedanken versunken auf die dich umgebenden Fenster starrst, die in nervig regelmäßigem Rhythmus aufblitzen und wieder verschwinden. Ach ja, ich habe vergessen, deinen Hass auf Ordnung, Regelmäßigkeit und Eintönigkeit zu erwähnen.

Na gut, auch du kannst nicht leugnen, dass dieser Anblick Freude macht, dass dich alles an das Weihnachten deiner Kindheit erinnert, als du noch naiv warst, noch keine genaue Definition für Konfessionalismus oder Unterdrückung kanntest, als du die Mädchen noch inniger als die Freiheit besungen und deiner Mutter den Yves Saint Laurent-Lippenstift stibitzt hast, um der Lehrerin eine rote Nase anzumalen, wie sie dir und allen deinen Freunden eine angemalt hatte. Damals wusstest du noch nicht, dass dieses Clownsbataillon in deinem Herzen anwachsen und die Liste deiner Phobien verlängern würde.

Du wohnst buchstäblich mitten im Wald, im ersten Stock eines den Wald schändenden Gebäudes. Du sitzt am Fenster, das so groß ist wie die ganze Wand. Es ist wirklich groß und zwar ganz besonders, wenn du es mit Zeitungspapier abrubbeln musst, damit es glänzt. Aber das ist jetzt nicht wichtig. In deiner Hand hältst du eine Tasse heißen Kakaos. Kakao ist dir zuwider. Du wirst ihn also nicht trinken, aber aus irgendeinem Grund hast du ihn gekocht. Du hast dich noch nie um fairen Konsum und die dazugehörigen Kampagnen gekümmert. Du stellst dich geistesabwesend vors Fenster und schaffst dir deine künstliche Ruhe.

Die Bäume husten ihre Blätter ab

Auf der anderen Seite des Fensters befindet sich ein verwunschener Wald mit Dutzenden von Bäumen, soweit deine Kurzsichtigkeit reicht. Sie husten Tag und Nacht ihre Blätter ab und der Gärtner fegt sie jeden Morgen auf. Merkt er eigentlich, dass er die Gegend verfälscht und die Felsbrocken in ihrer Mächtigkeit und Farbenpracht näher heranrückt? Ich denke, er merkt es.

Dieser Text ist ziemlich zerfleddert, wie alles, was ich in den vergangenen zwei Monaten geschrieben habe. Aber das ist überhaupt nicht wichtig. Ich habe ja schon gesagt, dass ich Ordnung hasse. Von Routinetexten haben wir die Nase voll. Da ist also dieser Wald mit seinen Vögeln und Eichhörnchen, seinen dämlichen Schmetterlingen und dem Wust seiner Blätter. Da ist die fette schwarze Katze der Nachbarn, die es ablehnt, dich zu akzeptieren. Dazu kommen die Gebäude mit ihren Lichterketten, den an Fenstern und Balkonen hängenden Puppen, die alle ein Weihnachtsmannkostüm tragen. Mir gefallen sie nicht. Eine einzige Weihnachtsmannfigur mag ich. Du gehst täglich zum Supermarkt und schaust sie dir an. Du hättest sie fast gekauft, für 80 Euro, hast es dann aber doch gelassen.

Kinder, selbst kaum größer, greifen entschlossen nach meterlangen Schachteln mit Kinderschokolade, so als ob sie alle Freude der Welt in ihren Armen halten wollten. So fühlte ich mich früher selbst einmal mit einer kleinen Schachtel Kinderschokolade. Das ist schon lange her, noch bevor man mich „mit dem von uns“ beschenkte und ich „unsereins“ wurde. Wieso braucht überhaupt jemand einen Meter Kinderschokolade? Auf dem verödeten Balkon deiner seit sieben Jahren verlassenen Wohnung stehen zwei große Pflanzkübel. Sie waren einmal die Heimat von zwei Damaszener Rosenbüschen, die gestorben sind. Die verbleibende Erde ist ideal, um die Leichen deiner geschnorrten Zigaretten hastig zu begraben. Ursprünglich kamen die Kübel dort als Drillinge an. Wo ist ihr Bruder? Er steht hinterm Fenster neben dir und beobachtet die Szenerie.

Drei Kübel, die Brüder waren

Nein, er beobachtet überhaupt nichts. Ich bin ja nicht blöd. Es ist ja nur ein Kübel und doch genießt er bei dir ein gewisses Ansehen. Schon als ich das erste Glas Wasser hineingoss, verliebte ich mich in ihn. Dann übernahm ich diese Aufgabe vom Hausbesitzer, der meist mit anderen Dingen beschäftigt war, obwohl er sich zwölf Jahre zuvor selbst in ihn verliebt hatte, als er einen Setzling aus palästinensischer Erde beherbergte. Ein Olivenbäumchen.

Dieser Baum überschritt die Grenze Palästinas, überstand die Kontrolle durch israelische Soldaten und ihren Wunsch, ihn zu verhaften, gelangte an Bord eines Flugzeugs, mit dem er nach Frankreich kam. Das ist schon beeindruckend. Immerhin handelt es sich nur um einen nicht sonderlich dekorativen Olivenbaum. Aber er steht für alles, was in diesem Leben passieren kann. Jetzt sitzt er hier, wo seine Cousine, die Damaszener Rose, starb und einen Kübel hinterließ, der bereit war, ihn aufzunehmen. Ich erzähle dir, wie es wirklich war. Du solltest verstehen, was ich damit sagen will. Es ist deine Pflicht, mich zu verstehen.

Das Bäumchen ist zart und schön und wurde mit einem roten, bis zum Dach reichenden Seil erhängt. Es wird erhängt, damit es aufrecht steht und sich nicht neigt. Es könnte sich ja auch mal hinsetzen, um sich von der Arbeit oder vom Früchtetragen zu erholen. Wie alle Bäume lässt es die Blätter säuseln, sich zu neigen ist ihm aber nicht vergönnt.

Das Weinen der Ölbäume Palästinas

Ich schwöre, dieser Baum hat wirklich Gefühle. Über die Empfindungen der Bäume habe ich einen wissenschaftlichen Artikel gelesen. Ich habe mir das nicht ausgedacht, es gibt das wirklich. Eines Tages brannte man weinende Bäume in Palästina nieder und auch unser Baum weinte. Den Schmerz seiner Brüder hat er nicht gespürt, sie wurden zu Asche. Der Wind weht noch nicht bis nach Schengen, aber schon bald wird er sie dorthin tragen. Damals weinte er voller Schadenfreude. Wie konnten sie ihn seiner nationalen Wurzeln im fernen Exil berauben? Er war doch Palästinenser und nicht irgendein „Straßenbaum“, sondern ein echter Ölbaum. Er litt zwar unter schweren Depressionen und schlechter Ernährung, blieb aber trotzdem ein Ölbaum. Seine Geschwister wurden ohne ihn niedergebrannt. Er hatte jedes Recht, traurig zu sein, ohne als antisemitisch oder inhuman zu gelten. Er hatte auch das Recht, der Welt seine Verwünschungen ins Gesicht zu schleudern, und keiner durfte ihm das verbieten oder ihn daran hindern. Oliven kennen keine Saison, sie sind stets voller Stolz.

Was soll ich dir noch sagen? Glas ist wirklich eine erstaunliche Erfindung. Es verbirgt dich, ohne dich von der Szenerie auszuschließen, ohne dich einer Phobie gegen geschlossene Räume und die Gefängnisse in dir selbst auszusetzen. Bring es mit allen Zeitungen, die du hast, zum Glänzen! Es ist Glas, das auch noch tief im Innern durchsichtig ist. Hinter Glas wird, nachdem das Weihnachtsgrün wieder im Kasten ruht, der erhängte Olivenbaum seinen ganzen Stolz zeigen. Dieses Fenster aber wird sich immer zwischen ihn und den Wald stellen. Ihm bleibt nur, das Erbe der Oliven zu betrauern. Ruhmreiche Weihnachten für alle exilierten Ölbäume, wo immer sie erhängt wurden, um Größe und Erhabenheit zu zeigen.

Diese Artikelserie wird in Kooperation mit WDRforyou übersetzt und veröffentlicht.

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