Souad Abbas. Chefredakteurin
Der Begriff “Heimat” wird in Deutschland weiterhin kontrovers diskutiert, insbesondere angesichts des kürzlich gemachten Vorschlags, ein Heimatministerium auf Bundesebene einzurichten. Der Missbrauch dieses Begriffs durch die Nazis spielt in die heftiger werdenden Auseinandersetzungen über Konzepte wie Heimat, Patriotismus und Identität hinein, ebenso die Monopolisierung dieses Begriffs durch die Rechten. Mit einer Wahlkampagne, in der Heimatliebe und Stolz aufs Vaterland eine wichtige Rolle spielten, gelang der AfD der Einzug in den Bundestag, was Anlass zu Versuchen war, den Rechten die Deutungshoheit über diesen Begriff wieder zu entreißen.
Auch Geflüchtete, insbesondere syrische, sehen sich mit einer ähnlichen Fragestellung konfrontiert. Patriotismus nahm man in Syrien mit der Muttermilch auf, und grenzenloser Stolz auf das Vaterland war eine Selbstverständlichkeit – auch wenn dieser Stolz mit einer Reihe von “Errungenschaften” fragwürdiger Natur verbunden war. Aus Perspektive des syrischen Regimes war und ist Patriotismus ausschließlich im Rahmen genehmer politischer Positionen möglich. Ein Patriot ist durch seine Loyalität gekennzeichnet: Er ist loyal zum Führer, loyal zu den Parolen der Bath-Patei und vor allem loyal bis in den Tod. Für den Kampf gegen Israel und den Imperialismus ist der Patriot bereit, sein Leben zu geben. Natürlich gibt es auch ein oppositionelles Verständnis von Patriotismus, welches von der offiziellen Perspektive abweicht.
Die langen Jahre des Krieges konfrontierten die Syrer mit Tatsachen, die beinahe so bitter wie der Krieg selbst waren. Zu Tausenden hatten sie “Wir sind _ein_ Volk” gerufen, um nur wenig später feststellen zu müssen, dass ihre Einheit Zerplitterung war, und keine Stärke in ihr lag. Die Gründe hierfür waren vielfältig und die Menschen in Syrien hatten nur wenig Einfluss auf das, was geschah.
Nachdem die Syrer über viele Länder verstreut worden waren, hatte die einfache Frage “Wer bist Du?” viele Antworten bekommen. Wer Syrien vor Beginn des Kriegs verließ, besteht darauf, dass er in Friedenszeiten migrierte, also kein Flüchtling ist. Wer aber in Kriegszeiten auswanderte, misst seiner Herkunftsregion große Bedeutung bei, in der Hoffnung Gleichgesinnte zu treffen. Vielleicht stellt er auch seinen Fluchtweg in den Vordergrund, um die Nähe von Leidensgenossen zu suchen – oder um sie zu meiden. Aber sowohl alte als auch neue Migranten reproduzieren die Spaltung der syrischen Gesellschaft entlang religiöser und politischer Differenzlinien. Sie lassen keine Gelegenheit aus, sich ihre Unterschiede und Konflikte in Erinnerung zu rufen, wenn sie nicht gleich neuen Streit vom Zaun brechen.
Mit der Flucht nach Deutschland entstanden neue Differenzlinien: Wer hat welchen Aufenthaltstitel, wer spricht wie gut Deutsch? Wer hat eine legale, wer eine illegale Arbeit, wer zahlt Steuern? Wer akzeptiert die Gesellschaft, wer lehnt sie ab? Die höchste Auszeichnung in diesem Spiel erhält, wer die Frage “Hast Du deutsche Freunde?” mit “ja” beantworten kann.
In einer Zeit, in der Syrer zersplittert und verteilt sind, in der die Versuche sich eine neue Heimat aufzubauen schrittweise den Traum der Rückkehr verdrängen, muss die Frage nach Heimat und Identität ohne Antwort bleiben. Diese Begriffe sind unscharf, und jeder Versuch sie zu präzisieren birgt die Gefahr des Ausschlusses: Schließlich sind es diese Begriffe, die bestimmen, inwieweit ein Syrer es verdient, sich als Syrer zu bezeichnen. Somit bleibt ihm nicht anderes übrig, als sich über seine aktuellen Status zu definieren: Als Flüchtling.
Übersetzung: Mirko Vogel, Mahara-Kollektiv, vogel@mahara-kollektiv.de